Der Untergang
wieder richtig gebrauchen
kannst.« Bason machte keinen Hehl aus seiner Enttäuschung, aber er versuchte auch nicht, Andrej zu
überreden, sondern drehte sich einfach um und ging davon. Und plötzlich fühlte sich Andrej so schlecht,
als hätte er einem verhungernden Kind das letzte Stück Brot weggenommen.
NEUNTES KAPITEL
Andrej hatte sich tatsächlich in seinen Wagen zurückgezogen, die Läden geschlossen und versucht, zu
schlafen. Aber er hatte keine Ruhe gefunden. Trotz des Zustandes totaler körperlicher Erschöpfung, in
dem er sich befand, lag er mehr als eine Stunde auf seinem unbequemen Lager wach und starrte in die
allmählich verblassende Dämmerung. Und natürlich war es wie immer, wenn man darauf wartete,
einzuschlafen: Er hatte das Gefühl, immer wacher zu werden.
Je dunkler es wurde, desto schärfer schienen seine Sinne zu werden. Die Musik, die von draußen
hereindrang, klang jetzt lauter und aufpeitschender, das Lachen der Zuschauer schriller, selbst das
prasselnde Feuer schien die Lautstärke eines gewaltigen Waldbrandes angenommen zu haben. Er roch den
Duft von Gebratenem und das Aroma des schweren, süßen Weines, den die Sinti großzügig ausschenkten,
und er konnte hören, wie weitere Besucher zu Pferde oder auch mit Fuhrwerken oder zu Fuß ins Lager
kamen. Einmal glaubte er, einem kurzen, heftigen Streit zu lauschen, der aber ebenso rasch wieder
geschlichtet wurde, wie er entstand, und dann drang das helle Lachen einer Frau an sein Ohr, und es war
dieses Geräusch, das ihn endgültig dazu bewog, sich auf der Bettkante aufzusetzen.
Es war Elenas Lachen gewesen.
Müde fuhr sich Andrej mit beiden Händen durch das Gesicht, stützte die Ellbogen auf die Knie und ließ
den Blick durch das Innere des winzigen, noch immer unaufgeräumten Wagens wandern. Elenas Lachen
hatte ihm klargemacht, warum er keinen Schlaf fand, so, wie ihm das, was er sah, klarmachte, dass er auch
keinen Schlaf finden würde. Alles hier drinnen, jeder Fußbreit Boden, die leer gebrannte Sturmlaterne, die
in einem Winkel neben der Tür stand, die verwischten Fußabdrücke im Staub, das fast silberne Mondlicht,
das in schrägen Bahnen durch die Ritzen der vorgelegten Läden fiel, erinnerte ihn an Elena. So, wie er den
ganzen Tag über eigentlich nur an sie gedacht hatte.
Er hatte es sich nicht eingestehen wollen, aber es war die Wahrheit: Auch wenn er sich krampfhaft mit
allen möglichen Dingen beschäftigt hatte, so war doch keine Sekunde vergangen, in der er nicht auf einer
tieferen Ebene seines Bewusstseins an sie gedacht hatte. Und als hätte dieses Eingeständnis die
Gespenster der vergangenen Nacht geweckt, glaubte er plötzlich wieder ihre Nähe zu spüren, den
verlockenden Duft ihres Haares und ihres Körpers, das seidige Gefühl ihrer Haut auf der seinen und den
süßen Geschmack ihrer Lippen. Für einen Moment mischte sich ein hässliches Bild in diese Erinnerungen:
Elenas Zunge, die mit einer kleinen, gierigen Bewegung über ihre Lippen fuhr und eine glitzernde rote
Träne aufsog, aber das Bild erlosch, bevor es wirklich Substanz gewinnen konnte, und Andrej stand mit
einem Ruck auf. Fast hatte er Angst davor, Elena zu begegnen, und zugleich wusste er auch, dass er keine
Ruhe finden würde, bevor er ihr nicht wenigstens noch einmal in die Augen geblickt hatte.
Als er den Wagen verließ, drangen Gelächter und Beifallklatschen so laut an sein Ohr, dass er überrascht
aufsah.
Er konnte nur flackernde, rote Lichtsplitter und tanzende Schatten erkennen, aber dann hörte er ein
dröhnendes, überhebliches Lachen, das er auf Anhieb erkannte. Abu Dun war zurück. Und offensichtlich
war er nicht mehr ganz so gereizter Stimmung wie am Vormittag. Und obwohl er dem Freund geraten
hatte, zu verschwinden, war er zugleich auch sehr erleichtert, dass er es nicht getan hatte. Als er sich dem
Festplatz in der Mitte des Lagers näherte, rief eine Stimme hinter ihm seinen Namen und Andrej blieb
überrascht stehen und drehte sich um. Ein Schatten tauchte aus der Dunkelheit hinter ihm auf und zerfiel
in vier unterschiedlich große Schatten, die nur einen Moment später Umrisse und Gesichter bekamen. Es
war der Krämer, den sie vor ein paar Tagen in der Stadt getroffen hatten, begleitet von seinen beiden
Söhnen und einer unscheinbaren Frau, die ihn mit gesenktem Blick und fast furchtsam musterte. Andrej
erinnerte sich an sein letztes Zusammentreffen mit diesem Mann und spannte sich innerlich ein wenig. Er
hatte keine Angst vor ihm und
Weitere Kostenlose Bücher