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Der Untergang

Der Untergang

Titel: Der Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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einer fast hastigen Bewegung auf. »Ich sollte jetzt wirklich
gehen«, sagte sie. »Ich habe Laurus erzählt, ich wäre bei Anka. Manchmal bleibe ich lange bei ihr, aber
heute ist kein normaler Tag, und er könnte am Ende doch misstrauisch werden, wenn ich zu lange fort
bleibe.«
»Und wenn er zu Anka geht, um nach dir zu suchen?«, fragte Andrej.
Elena schüttelte energisch den Kopf. »Laurus geht niemals zu Anka.«
Andrej erhob sich, griff nach seinen Kleidern und begann, sich anzuziehen, auch wenn er selbst gar nicht
genau wusste, warum. Er war, wenn auch auf eine sehr wohltuende Art, unendlich müde. Aber aus einem
Grund, der ihm selbst nicht ganz klar war, wollte er nicht schlafen. »Warum hasst dein Mann Anka
eigentlich so?«, fragte er.
Elena, die schon fast auf halbem Wege zur Tür gewesen war, blieb noch einmal stehen und wandte sich zu
ihm um. Er konnte sehen, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete, und er war sicher, auch diesmal nur eine
ausweichende oder gar keine Antwort zu bekommen, doch er täuschte sich.
»Du weißt, wer Anka ist?«, fragte sie.
»Eure Puuri Dan«, sagte Andrej. »Auch wenn ich gestehe, dass ich nicht ganz genau weiß, was das ist.«
»Sie ist die Hüterin unseres Wissens«, sagte Elena. »Jede Sinti-Familie hat ihre Ehrwürdige Frau. Sie
erzählt die Geschichten der Alten, die Legenden unserer Vorzeit, aber sie lehrt uns auch alles über die
Kräfte der Natur und die geheime Magie unserer Vorfahren.«
»Was du mir über den Wald und seine Stimme erzählt hast das weißt du von ihr?«, fragte Andrej.
Seltsamerweise huschte ein Schatten von Trauer über Elenas Gesicht. »Ja«, sagte sie. »Das und noch so
vieles mehr. Und doch gibt es noch so viel mehr, was ich von ihr lernen muss.«
»Du?«
»Sie mag alt geworden sein, und sicher auch ein wenig wunderlich«, antwortete Elena. »Es ist nicht leicht,
mit ihr auszukommen. Das war es nie. Anka war niemals ein wirklich guter Mensch, auch nicht, als sie
noch jung war.«
»Und deshalb mag dein Mann sie nicht?«, fragte Andrej.
»Hat er Angst, dass sie ihm den Rang streitig macht?«
Seine Frage schien Elena noch trauriger zu stimmen. Sie sah eine Weile an ihm vorbei ins Leere, und als
sie fortfuhr, war ihre Stimme noch leiser geworden. »Es gibt immer eine Puuri Dan. Es liegt an dem, was
sie sind und wissen, dass sie meistens sehr alt werden - wenn auch selten so alt wie Anka.
Ihr Wissen darf nicht verloren gehen. Deshalb gibt es auch immer eine Nachfolgerin, die von der Puuri
Dan ausgebildet und unterrichtet wird, wenn sie ihre Zeit nahen fühlt. Und diese Nachfolgerin …«
»… bist du«, vermutete Andrej. Er war nicht überrascht.
Nichts anderes hätte Sinn gemacht.
Elena nickte. »Noch nicht, aber ich werde es sein, wenn Anka stirbt. Und ich fürchte, es wird nicht mehr
sehr lange dauern.«
»Und das ist der Grund, aus dem Laurus Anka so sehr hasst?«, wunderte sich Andrej.
»Die Puuri Dan ist unantastbar«, sagte Elena. »Laurus wird mich verlieren, wenn Anka stirbt und ich ihre
Nachfolgerin werden. Kein Mann darf die Puuri Dan berühren, niemand der nicht unseres Blutes ist, mit
ihr reden oder ihr auch nur nahe kommen. Deshalb hasst er sie.«
Andrej starrte sie ungläubig an. »Du meinst -?«
»Ich meine«, unterbrach ihn Elena mit trauriger aber auch sehr fester Stimme, »dass es eine große Ehre
für mich ist, diese Aufgabe zu übernehmen, die vielleicht die wichtigste ist, die es bei uns gibt. Aber ich
werde einen Preis dafür zahlen müssen.«
»Einen sehr hohen Preis«, sagte Andrej erschüttert.
»Ja«, antwortete Elena. »Aber ich werde mich nicht beklagen. Das Wohl unseres Volkes zählt mehr als
das eines einzelnen Menschen, und auch Laurus weiß das. Er wird nicht versuchen, mich daran zu
hindern, und ich glaube, er hasst sich selbst für die Gefühle, die er Anka entgegenbringt. Er ist kein
schlechter Mensch, Andreas. Und auch wenn er es manchmal, wie ich zugeben muss, gut zu verbergen
weiß - er ist ein sehr kluger Mann. Aber er ist auch ein Mann, und er kann nicht aus seiner Haut.«
»Er liebt dich«, sagte Andrej.
»Vielleicht mehr, als du ahnst«, antwortete Elena.
»Vielleicht sogar mehr, als ich ahne. Aber er weiß, dass es eines Tages so weit kommen wird.«
Andrej schwieg. Elenas Worte hatten ihn zuerst überrascht, dann erschreckt und schließlich zornig
gemacht, aber keines dieser Gefühle war wirklich berechtigt. Plötzlich schien alles, was er jemals über sie
und Laurus gedacht hatte, keine Gültigkeit mehr zu

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