Der Untergang
neue Kraft zu sammeln. Er
fühlte sich ausgelaugt, und obwohl er stundenlang geschlafen hatte, buchstäblich zum Umfallen müde.
»Was ist denn los?«, murmelte er. »Was willst du?«
»Laurus schickt mich«, antwortete Bason. »Dieser Schulz ist gekommen.«
Andrej hob langsam den Kopf und fuhr sich mit dem Handrücken über die tränenden Augen. »Schulz?«,
fragte er verständnislos.
»Ich weiß nicht, was passiert ist«, antwortete Bason. Er wirkte verstört, beinahe ängstlich. »Aber irgend
etwas muss passiert sein. Laurus ist sehr aufgeregt. Er sagt, du sollst sofort kommen.«
»Meinetwegen«, sagte Andrej. Er versuchte, aufzustehen, sank mit einem seufzenden Laut zurück und
griff dankbar nach Basons Hand, die dieser ihm auch sogleich entgegenstreckte.
Selbst mit Hilfe des jungen Sinti gelang es ihm kaum, auf die Füße zu kommen, und als er endlich stand, da
wankte er vor Benommenheit und Schwäche. Seine Lippen waren aufgeplatzt und fühlten sich an, als
hätte er seit einer Woche nichts mehr getrunken, und obwohl Basons Stimme keinerlei Zweifel daran
aufkommen ließ, wie ernst seine Worte gemeint waren, war Andrej einen Moment lang versucht, sich
einfach wieder auf das Bett sinken zu lassen und weiterzuschlafen.
»Bist du krank?«, fragte Bason noch einmal, und jetzt im Ton ehrlicher Besorgnis.
»Nein«, antwortete Andrej. »Ich fühle mich nicht gut, aber ich glaube, ich habe einfach zu wenig
geschlafen. Und vielleicht zu viel getrunken.« Er machte einen Schritt. »Bring mich zu Laurus.«
»So?« Bason riss die Augen auf. Andrej sah ihn einen Moment lang verständnislos an, dann blickte er an
sich herab und stellte erst jetzt fest, dass er nackt war.
»Nun denn«, sagte er. »Warte noch einen Augenblick.« Er begann mit umständlichen, noch immer
schlaftrunkenen Bewegungen, seine Kleider zusammenzusuchen, schlüpfte in Hose und Stiefel, und hob
schließlich das zerfetzte und blutdurchtränkte Hemd auf. Einen Moment lang betrachtete er die
zerrissenen Überreste des Kleidungsstückes stirnrunzelnd, dann ließ er es mit einem Seufzen zu Boden
fallen und sagte:
»Das war mein letztes Hemd.«
»Ich gebe dir eins von mir«, sagte Bason, »aber jetzt komm, bitte. Es ist wirklich wichtig.« Er ging zur Tür
und trat unruhig auf der Stelle, bis Andrej sich endlich erhob und ihm folgte.
Er hob schützend die Hand vor die Augen, als er in das grelle Sonnenlicht hinaustrat. Ein vorsichtiger
Blick gen Himmel sagte ihm, dass er seine erste Schätzung korrigieren musste - die Sonne war
aufgegangen, aber es konnte kaum länger als eine Stunde her sein, und im Lager herrschte etwas, das
Andrej nur als stille Aufregung bezeichnen konnte; er hörte weder ein lautes Wort, noch sah er eine
hektische Bewegung, aber er konnte die Anspannung spüren, die von den Menschen Besitz ergriffen
hatte.
»Was ist passiert?«, fragte er. Die Bewegung tat ihm gut.
Sein Kreislauf kam allmählich in Schwung, und aus der lähmenden Müdigkeit wurde Benommenheit,
immer noch unangenehm, aber beherrschbar.
Bason hob hilflos die Schultern. »Ich weiß es nicht genau«, sagte er. »Zuerst dachte ich, es hätte was mit
gestern Abend zu tun. Mit dem, was dein Freund und du getan habt. Aber jetzt bin ich nicht mehr sicher.«
Sie durchquerten das Lager mit schnellen Schritten. Als sie näher kamen, sah Andrej einen der beiden
Bewaffneten, in deren Begleitung Schulz schon einmal hergekommen war, in eindeutig drohender Haltung
vor Laurus’ Wagen stehen; der andere war vermutlich mit seinem Dienstherren drinnen.
Andrej wollte den Wagen unverzüglich ansteuern, aber Bason schüttelte den Kopf, deutete verstohlen auf
eine Lücke zwischen zwei der großen Wohnwagen und sagte: »Warte hier.
Ich bringe dir ein Hemd. Rühr dich nicht von der Stelle.«
Andrej tat, wie Bason ihn geheißen hatte, ohne den Sinn dieser Anweisung wirklich zu verstehen.
Offensichtlich wollte Bason nicht, dass der fremde Krieger ihn ohne Hemd sah - als ob das irgend etwas
ausmachte. Aber er wartete geduldig, bis Bason wiederkam. Er trug ein einfaches weißes Hemd und eine
zusammengefaltete Weste über dem Arm.
Fast unwirsch forderte er Andrej auf, beides anzuziehen und hob schließlich wenig begeistert die
Schultern. »Nun ja, schließlich willst du nicht auf Brautschau gehen.«
Andrej sah an sich herab und musste gestehen, dass Bason durchaus Recht hatte. Das Hemd war ihm um
etliches zu klein. Er sah einfach nur lächerlich darin aus. Und die Weste, in die er sich zusätzlich
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