Der Untergang
ganzen Leib der
Schweiß ausbrechen musste. Wie Pater Flock auf die Idee kam, hier draußen frische Luft schnappen zu
wollen, war ihm ein Rätsel. Aber er war auch ziemlich sicher, dass es ohnehin nur ein Vorwand gewesen
war.
»Ich danke dir, Andreas«, sagte Flock. Er lehnte sich mit einem erschöpften Seufzer gegen das raue Holz
des Wagens und schloss für einen Moment die Augen. Hier draußen im gnadenlosen Licht der Sonne, sah
er noch schwächer und erbarmungswürdiger aus.
»Ihr müsst einen verdammt guten Grund haben, hierher zu kommen«, sagte Andrej ernst. »Ihr setzt Euer
Leben aufs Spiel, das ist Euch doch klar, oder?«
»Es gibt Dinge, die sind wichtiger als das Leben eines unbedeutenden Mönchs«, antwortete Flock. »Zum
Beispiel?«
»Vielleicht das Seelenheil vieler«, antwortete Flock. »Ihr müsst fort, Andreas. Ihr müsst … diese Leute
verlassen.
Schnell. Noch heute.«
»Und Ihr riskiert Euer Leben, oder zumindest Eure Gesundheit, um mir das zu sagen?«, fragte Andrej
verwirrt.
»Etwa schlimmes wird geschehen«, fuhr Flock unbeeindruckt fort. Offensichtlich wollte er nicht auf seine
Frage antworten. »Irgendetwas geht hier vor, Andreas. Der Teufel hat seine Hand nach uns ausgestreckt.
Ich habe seine Helfer gesehen.«
Gegen seinen Willen sah Andrej sich rasch nach allen Seiten um, wie, um sich davon zu überzeugen, dass
ihnen auch niemand zuhörte. »Ihr meint diese Kinder.«
»Das waren keine Kinder«, protestierte Flock. »Das waren seelenlose Geschöpfe. Boten der Hölle.«
»Übertreibt Ihr da nicht ein wenig?«, sagte Andrej. Er zwang sich zu einem Lächeln. »Glaubt mir, es gibt
eine Menge Eltern, die ihre Kinder für kleine Teufel halten. Und manche nicht einmal zu Unrecht.«
»Ihr wisst, dass es so ist«, sagte Flock ernst. »Sie sind hier.
Sie haben irgend etwas mit diesen Menschen hier zu tun, und ich glaube, sich wollten Euch. Ich hatte nur
das Pech, ihnen zufällig zu begegnen.«
Andrej wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Er sah Flock nur an und versuchte, sich über seine eigenen
Gefühle klar zu werden. Er war noch immer weit davon entfernt, einem Mann im verlogenen braunen
Büßergewand so etwas wie Ehrlichkeit oder gar ein gutes Herz zuzubilligen, und dennoch war ihm klar,
dass Flock die Wahrheit sagte. Vielleicht war er ja die berühmte Ausnahme von der Regel.
»Und was soll ich Eurer Meinung nach tun?«
»Flieht!«, sagte Flock. »Nehmt Euren Freund, den Heiden, und flieht. Diese Dämonen sind Euretwegen
hier, das spüre ich.
Wenn Ihr bleibt, dann beschwört Ihr ein großes Unglück herauf. Ein Unglück für uns alle!«
»Und wenn wir fliehen, dann wird Schulz das als Eingeständnis unserer Schuld werten«, antwortete
Andrej ruhig. »Laurus und alle anderen hier müssten dafür bezahlen.«
Flock schüttelte schwach den Kopf. »Schulz ist ein vernünftiger Mann. Und er hört auf mich. Ich werde
ihn davon überzeugen, dass diese Menschen hier unschuldig sind.
Vielleicht wird er sie davonjagen, aber das ist auch alles.«
»Ich verstehe Euch nicht, Flock«, sagte Andrej, und das war ehrlich gemeint. »Wenn Ihr wirklich glaubt,
was Ihr da sagt, wenn Ihr wirklich wisst, wer ich bin, dann müsstet Ihr mich doch hassen.«
»Aber es reicht doch, wenn Ihr Euch selbst hasst, Andreas«, antwortete Flock ruhig. Er versuchte zu
lächeln, aber sein zerschnittenes Gesicht machte eine Grimasse daraus. »Ich bin nicht so uneigennützig,
wie Ihr glaubt, Andreas. Vielleicht muss man eine verlorene Seele verschonen, um viele andere zu retten.«
»Ich kann das nicht«, sagte Andrej zu seiner eigenen Überraschung. Alles, was Flock gesagt hatte, klang
nicht nur vernünftig, sondern deckte sich auch auf schon fast unheimliche Weise mit dem, was er selbst in
den letzten Tagen gedacht hatte. Aber er begriff auch, warum es für ihm im Moment einfach nicht möglich
war, von hier weg zu gehen, und sollte es tatsächlich sein Leben kosten.
Elena.
Von hier fort zu gehen, bedeutete, Elena zu verlieren, und das war etwas, was ihm im Moment schlimmer
erschien als der Tod.
»Du wirst deine Freunde nicht schützen können«, sagte Flock. »Auch nicht, wenn du hier bleibst. Aber
vielleicht gerade nicht, wenn du bleibst.«
»Was meint Ihr damit?« Flock zögerte. Erst nach einer geraumen Weile sagte er leise: »Es sind Soldaten
auf dem Weg hierher. Und …«
»Und?«, fragte Andrej, als Flock nicht weiter sprach.
»Einige meiner Brüder.« Er klang gequält. Plötzlich hatte er nicht mehr die Kraft, Andrejs Blick
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