Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Untergang

Der Untergang

Titel: Der Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
Richtung.
»Wer sagt dir, dass es Gottes Wille war, Unsterblicher?«
»Ich hatte gehofft, dass du mir diese Frage beantworten könntest«, erwiderte Andrej.
»Dann muss ich dich enttäuschen«, sagte Anka. »Wenn ihr nur deshalb den langen Weg auf euch
genommen habt, dann habt ihr ihn umsonst gemacht. Dein Freund aus dem Morgenland hat mir alles
erzählt, was in jener Nacht geschehen ist. Und was Alessa dir erzählt hat, das war auch schon fast alles,
was ich dir darüber erzählen könnte.«
»Aber Alessa hat…«
»… im Fieber gesprochen. Demselben Fieber, das ihre Familie dahingerafft hat. Du hast dieses Fieber auch
gehabt, nicht wahr?«
»Ich? Nein. Ich war nie krank«, antwortete Andrej.
»Niemals? Auch nicht als Kind?« Anka wiegte nachdenklich den Kopf. »Du wirst es vergessen haben. Es
beginnt immer mit einem Fieber. Fast alle sterben daran. So wie Alessa.«
»Und meine ganze Familie«, murmelte Andrej nachdenklich.
»So, so«, machte Anka.
»Ich habe sie nie kennen gelernt«, erklärte Andrej. »Man hat es mir nur erzählt. Sie sind alle am Fieber
gestorben, als ich noch ein Säugling war.«
»Und du hast als Einziger überlebt«, fuhr Anka fort. »So fängt es immer an. Eine Linie endet, damit einer
von ihnen länger leben kann. Aber länger leben bedeutet nicht ewig.«
»Du weißt also doch etwas darüber«, stellte Andrej fest.
»Wenn man so lange lebt wie ich, dann erfährt man viel«, antwortete Anka. »Und die Puuri Dan sind die
Bewahrerinnen des alten Wissens.«
»Wissen über Menschen, die so sind wie ich?«
»Vampyre, meinst du?« Anka lachte, als hätte sie sein Erschrecken gesehen. »Sprich das Wort ruhig aus.
Oder fürchtest du dich davor?«
»Vielleicht«, gestand Andrej.
»Wenn ja, dann tust du gut daran«, sagte Anka. Ihre Stimme wurde spröde. »Ich weiß, was ihr seid. Wozu
ihr am Ende werdet.
Die wenigen von euch, die den Weg so weit gehen wie du. Ich weiß, womit ihr euch eure Unsterblichkeit
erkauft. Es ist gestohlenes Leben. Wie viele Menschen mussten schon sterben, damit dein Leben
andauert, Andrej? Du hast die Stimme und den Geruch eines jungen Mannes, aber wie alt bist du wirklich?
So alt wie ich, oder doppelt so alt?«
»Ich bin nicht viel älter, als ich aussehe«, antwortete Andrej.
»Eine wahrlich erhellende Antwort«, sagte die blinde Frau spöttisch.
Abu Dun lachte. »Dreißig, würde ich sagen, kaum älter.«
»Und wie viele Leben hast du genommen, um so alt zu werden?«, fragte Anka. Sie kicherte, trank einen
weiteren Schluck Wein und lachte dann schrill. »Oh, wusstest du das nicht? Habt ihr einmal damit
angefangen, euch von gestohlenem Leben zu nähren, dann könnt ihr nie wieder damit aufhören.«
Ein weiterer Schluck Wein hinterließ eine Spur aus winzigen roten Tröpfchen auf ihren Lippen und ein
feines Rinnsal auf ihrem Kinn. Für einen Moment sah es so aus, als wäre sie der Vampyr in diesem Raum.
»Also sag mir: Wie viele Leben hast du schon genommen, um deines zu behalten?«
»Ich habe getötet, das ist richtig«, gestand Andrej. »Aber nur, um mich zu verteidigen. Ich habe nie
jemanden getötet, der es nicht verdient hätte.«
»Und wer hat dich zum Richter über jene gemacht, die den Tod verdient haben?«, fragte Anka böse.
»Sie selbst«, antwortete Abu Dun an Andrejs Stelle. Er hatte Mühe, seine Zunge unter Kontrolle zu halten,
aber sonderbarerweise schien das seinen Worten mehr Gewicht zu verleihen. »Jeder Einzelne von ihnen,
altes Weib, indem sie das Schwert gegen ihn erhoben haben.«
»Das mag sein«, erwiderte Anka ungerührt. »Doch wie lange wird das so bleiben? Weitere dreißig oder
vierzig Jahre? Hundert?
Sag mir, Andrej, wird denn immer im richtigen Moment ein Mensch zur Stelle sein, der den Tod verdient
hat, weil er dir nach dem Leben trachtet? Wann wirst du die erste Ausnahme machen?«
»Niemals!«, antwortete Andrej. »Ich würde eher sterben, bevor ich einen Unschuldigen töte.«
»Und im Moment glaubst du das sogar selbst«, sagte Anka grimmig. Sie schüttelte den Kopf. »Aber was
wird in hundert Jahren sein? Nein, das alles kann nicht Gottes Wille sein. Ich will damit nichts zu tun
haben, und ich will nichts davon wissen. Ich hab euch gesagt, was ich euch sagen kann, und das ist schon
mehr, als ich wollte. Ich werde bald vor unseren Schöpfer treten, und vielleicht werden mir dann Fragen
gestellt, die ich reinen Gewissens beantworten möchte.«
»Dann ist es vielleicht besser, wenn wir gehen!« Andrejs Stimme klang bitter. Die Enttäuschung

Weitere Kostenlose Bücher