Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Untergang

Der Untergang

Titel: Der Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
Laurus ungerührt. »Ihr könnt bleiben, bis sich dein Freund vollständig
erholt hat.«
»Das ist nicht notwendig«, antwortete Andrej. Er war nicht überrascht, aber enttäuscht. Etwas an der
scheinbar gleichgültigen Art des Zigeuners machte ihm klar, wie sinnlos jedes weitere Wort war. Die
Entscheidung war längst gefallen.
»Abu Dun ist zäh. So schnell wirft ihn nichts um.«
»Abgesehen von einem Krug Wein«, grinste Rason. »Oder zwei.«
»Wir ziehen noch heute weiter«, fuhr Laurus fort. »Am Mittag werden wir Honsen erreichen, unser
nächstes Ziel. Wenn ihr bei uns bleibt, könnt ihr euch dort nützlich machen. Rason hat mir erzählt, dass du
Kaufmann bist?«
Andrej sah Rason überrascht an. Er nickte.
»Womit handelst du?«
»Mit nichts Bestimmtem«, antwortete Andrej ausweichend. »Was sich gerade so anbietet.«
»Schwerter zum Beispiel?«
»Zum Beispiel.«
Andrej war auf der Hut. Das Gespräch war nicht so unverfänglich, wie es für einen Außenstehenden
vielleicht den Anschein hatte. Es war besser, er überlegte sich jedes Wort genau.
»Jemanden wie dich können wir brauchen«, sagte Laurus nach kurzem Überlegen.
»Wozu?«
»Wir sind Zigeuner«, antwortete Laurus, als wäre das Erklärung genug. »Die Leute verhandeln lieber mit
jemandem wie dir. Wir brauchen Unterkunft, müssen Waren tauschen - du könntest die Verhandlungen
für uns führen.« Er hob die Schultern. »Und dein großer Freund kann bei unserem Schauspiel
mitmachen.«
»Schauspiel?«
»Wir treten auf. Man muss schließlich von etwas leben.«
Abu Dun in einem Schauspiel? Andrej glaubte nicht, dass sie lange genug bei diesen Leuten bleiben
würden, um das wirklich zu erleben, aber die Vorstellung gefiel ihm. Er lächelte matt, sagte aber nichts.
»Und wie es der Zufall will«, fügte Rason feixend hinzu, »brauchen wir gerade einen schwarzen Mann.«
»Abu Dun, der Kinderschreck.« Andrej nickte. »Das kann ich mir gut vorstellen.«
Niemand lachte. Nur in den Augen der Schwarzhaarigen blitzte es kurz und amüsiert auf. Andrej musterte
sie aufmerksamer und korrigierte seine Schätzung, was ihr Alter anging, um ein gutes Stück nach oben. Sie
konnte durchaus Laurus’ Frau sein, aber er zog es vor, sich nicht danach zu erkundigen. So, wie er die
Sinti einschätzte, mochten sie keine Fremden, die zu viele neugierige Fragen stellten.
»Ich würde gerne noch einmal mit Anka sprechen.«
»Anka?« Laurus’ Gesicht verdüsterte sich. Ganz offensichtlich war das der falsche Wunsch gewesen.
»Später vielleicht. Heute ist kein guter Tag dazu.«
»Ich wollte nicht…«
»Anka«, unterbrach ihn Laurus nicht unfreundlich, aber doch eine Spur schärfer als bisher, »ist unsere
ehrwürdige Frau. Aber sie ist auch eine sehr alte Frau und manchmal etwas sonderbar. Du solltest nicht
alles glauben, was du über sie hörst, und schon gar nicht alles, was du von ihr hörst.« Er stand auf und
ging mit schnellen Schritten davon. Andrej sah ihm verwirrt nach.
»Was habe ich falsch gemacht?«, fragte er.
Rason lachte. »Laurus und Anka sind … nicht gerade Busenfreunde«, erklärte er.
»Aber ich dachte, sie wäre …«
»Anka ist unsere Puuri Dan«, fiel ihm Bason ins Wort, deutlich ernster als sein Bruder. »Sie ist die
Bewahrerin des Wissens. Wir brauchen sie. Aber mein Vater und Anka waren noch nie gute Freunde,
schon, als sie noch nicht so alt und sonderbar gewesen ist. Wir hatten schon eine Menge Schwierigkeiten
ihretwegen, weißt du? Besser, du sprichst ihn nicht wieder auf sie an.«
Laurus sein Vater? Das war eine neue Information - und eine ziemlich überraschende dazu. Wenn Andrej
jemals Söhne gesehen hatte, die ihrem Vater nicht ähnelten, dann waren es Rason und Bason. Er
antwortete nur mit einem angedeuteten Lächeln.
»Auf dem Feuer liegt Speck, und hier steht Wasser.« Rason machte eine einladende Geste. »Du solltest
dich stärken. Wir brechen bald auf, und wir müssen uns sputen, wenn wir unser Ziel bis zum Mittag
erreichen wollen. Eure Pferde stehen drüben an der Koppel, und euer Gepäck ist in meinem Wagen. Ich
bringe es dir gleich.« Er lachte leise. »Nicht, dass am Ende noch was wegkommt.«
Honsen war ein Straßendorf, wie es typisch war für diese Gegend.
Der Ort lag an der Kreuzung zweier unterschiedlich gut ausgebauter Wegstrecken und bestand aus wenig
mehr als einem Dutzend einfacher Gebäude, von denen das größte die aus grobem Bruchstein errichtete
Kirche war. Eine Hand voll Höfe, allesamt in Sichtweite des Kirchturms gelegen,

Weitere Kostenlose Bücher