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Der Untergang

Der Untergang

Titel: Der Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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zu sehen, das
stimmte, aber der scharfe, unverwechselbare Gestank dieser Nager hing noch immer deutlich in der Luft,
selbst für Abu Duns nicht annähernd so scharfe Sinne deutlich genug, und je länger er sich umsah, desto
mehr Spuren des Dramas, dass sich hier abgespielt haben musste, gewahrte er.
»Vielleicht oben.«
Sie gingen zur Treppe. Andrej blieb noch einmal stehen, drehte sich im Kreis und sah sich ein letztes Mal
aufmerksam um - doch es blieb dabei: Hier unten war nichts. Wenn die Tiere tatsächlich da gewesen
waren, dann hatten sie ihr Zerstörungswerk beendet und waren wieder verschwunden. Aber irgend etwas
sagte ihm, dass es nicht so einfach war … Mit klopfendem Herzen sah er zu der schweren hölzernen
Klappe hoch, zu der die Stiege empor führte. Dicht gefolgt von Abu Dun und unwillkürlich mit jeder Stufe
langsamer werdend stieg er nach oben und drückte die Klappe mit den Schultern auf.
Auf der Galerie war der trockene, zum Husten reizende Mehlgeruch noch stärker, dafür waren die
Lichtverhältnisse besser; der obere Teil der Mühle besaß zwar keine Fenster, aber die Wände und das
Dach waren so löchrig, dass reichlich Sonnenlicht hereinfiel. Sie sahen sich um. Dicht hinter Abu Dun war
ein Teil der Wand eingebrochen, sodass man einen guten Ausblick auf den Hügel und den
gegenüberliegenden Waldrand hatte.
Darüber hinaus bot der Dachraum genau den Anblick, den er erwartet hatte: Ein Großteil der Fläche
wurde von einem riesigen Mühlrad und dem nicht minder gewaltigen Gestänge, das es antrieb, samt der
dazugehörigen Zahnräder eingenommen. Auf dem Boden lag eine gut fingerdicke Schicht aus
festgetretenem Mehl und Korn. Andrej konnte Spuren darin erkennen, aber es waren nur die Abdrücke
menschlicher Füße.
»So viel zu deiner Ansicht, Bruder Flock sei ein ehrlicher Mann«, konstatierte Abu Dun. »Wenn du mich
fragst, so trägt die einzige Ratte, die seit Jahren hier war, ein braunes Büßergewand und ein Kreuz um den
Hals.«
»Aber warum sollte er lügen?«, murmelte Andrej.
»Warum lügen Menschen?«, fragte Abu Dun mit einem Achselzucken zurück. »Um einen Vorteil zu
erlangen? Um andere in ein schlechtes Licht zu rücken? Es gibt tausend Gründe.«
»Aber das wäre dumm«, sagte Andrej. Er weigerte sich immer noch zu glauben, dass Abu Dun womöglich
Recht hatte. »Jeder, der hierher kommt, würde doch sehen, dass die Geschichte nicht stimmt.«
»Vielleicht hat er ja gar nicht bewusst die Unwahrheit gesagt«, überlegte Abu Dun. »Vielleicht wurde er ja
seinerseits belogen.«
Andrej dachte einen Moment darüber nach, schüttelte dann bestimmt den Kopf. Er traute Handmann eine
so ungeheuerliche Lüge durchaus zu, aber selbst der Müller besaß genug Verstand, um zu wissen, dass
dieser Vorfall, sofern er ihn denn erfunden hatte, nicht einmal einer flüchtigen Überprüfung standhalten
würde. Wenn es ihm allein darum ging, Elena und die Sinti der Hexerei zu beschuldigen, dann hätte er sich
ein Dutzend überzeugendere Geschichten ausdenken können.
»Lass uns gehen«, sagte er. »Ich -«. Ihm stockte der Atem. Vor ihnen, kaum eine Armlänge entfernt, saß
eine Ratte. Eine Ratte, die sich nicht vom Fleck rührte und die sie aufmerksam ansah.
»Was?«, fragte Abu Dun verständnislos. Dann folgte er Andrejs Blick und zog die Augenbrauen
zusammen, als er den grauen Nager gewahrte, der noch immer reglos da hockte und die beiden
Eindringlinge ohne die geringste Spur von Furcht zu mustern schien.
»Was ist los?«, fragte der Nubier. »Das ist nur eine Ratte. Eine einzige Ratte.«
»Ja«, murmelte Andrej, aber sie sollte nicht hier sein. Er hätte sein Augenlicht darauf verwettet, dass
dieses Tier vor einer Sekunde noch nicht da gewesen war.
Irgendwas stimmt hier nicht«, sagte er. »Verschwinden wir!« Abu Dun rührte sich nicht und sah eher
überrascht als alarmiert aus. »Sag nicht, du hast Angst vor einer Ratte.«
Die ehrliche Antwort auf diese Frage wäre ein unverhohlenes »Ja« gewesen. Aber es war nicht wirklich
die Ratte, die Andrej mit wachsender Furcht erfüllte. Es war das, was dieses Tier war. Eine
Herausforderung. Sie hockte da wie ein höhnisches, Fell und Fleisch gewordenes Grinsen.
Als der Nubier keine Antwort erhielt, wandte er sich zur Treppe, um den Rückweg anzutreten. Mitten in
der Bewegung jedoch erstarrte er und sog scharf die Luft ein. Andrej war sicher, dass nun auch hinter
ihnen Ratten aufgetaucht waren, die ihnen den Rückzug versperrten. Langsam drehte er sich um.
Hoch

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