Der Untertan
Zusammenkunft, im traulichen Wohnzimmer des Pfarrhauses, sich beinahe verlobt hätten. Käthchen ward unter ihrem Schleier rot und blaß und verschüttete ihr Bier. Immerfort flatterte sie kraftlos vom Stuhl auf und wollte fort; aber Diederich hatte sie hinter den Tisch in die Ecke geschoben und saß breit davor. »Nun müssen die Kinder aber gleich kommen!« sagte er gutmütig. Statt ihrer kam Jadassohn: plötzlich stand er da und sah versteinert aus. Auch die beiden anderen regten sich nicht. ›Also doch!‹ dachte Diederich. Jadassohn schien etwas Ähnliches zu denken; keiner der Herren fand Worte. Käthchen begann wieder von Kindern und Sonntagsschulen. Sie sprach flehend und weinte fast. Jadassohn hörte ihr mit Mißbilligung zu, er ließ sogar die Bemerkung fallen, gewisse Geschichten seien ihm zu verwickelt — und er blickte inquisitorisch auf Diederich.
»Im Grunde«, versetzte Diederich, »ist es doch einfach. Fräulein Zillich sucht hier nach Kindern, und wir beide helfen ihr.«
»Ob sie eins kriegt, kann man nicht wissen«, ergänzte Jadassohn schneidend; da sagte Käthchen: »Und von wem, auch nicht.«
Die Herren setzten die Gläser hin. Käthchen hatte es aufgegeben zu weinen, sie schob sogar den Schleier hinauf und sah mit merkwürdig hellen Augen von einem zum andern. Ihre Stimme hatte etwas Offenes, Unverblümtes bekommen. »Na ja, wenn Sie nun doch mal beide da sind«, setzte sie hinzu, indes sie aus Jadassohns Dose eine Zigarette nahm; und dann leerte sie auf einen Zug den Kognak, der vor Diederich stand. Jetzt war es an Diederich, nach Fassung zu ringen. Jadassohn schien nicht unbekannt mit Käthchens anderem Gesicht. Die beiden fuhren fort, Doppelsinnigkeiten auszutauschen, bis Diederich sich gegen Käthchen entrüstete. »Heute lernt man Sie aber gründlich kennen!« rief er und schlug auf den Tisch. Sofort hatte Käthchen ihr Damengesicht zurück. »Was meinen Sie eigentlich, Herr Doktor?« Jadassohn ergänzte: »Ich nehme an, daß Sie der Ehre der Dame nicht zu nahe treten wollen!« — »Ich meine nur«, stammelte Diederich, »so gefällt Fräulein Zillich mir viel besser.« Er rollte die Augen vor Ratlosigkeit. »Neulich, wie wir uns beinahe verlobt hätten, hat sie mir nicht halb so gefallen.« Da lachte Käthchen los: ein Gelächter, ganz frei aus dem Herzen, wie Diederich es auch noch nicht kannte. Ihm ward warm dabei, er lachte mit, Jadassohn auch, alle drei wälzten sich lachend auf ihren Stühlen umher und riefen nach mehr Kognak.
»Nun muß ich aber gehen«, sagte Käthchen, »sonst kommt Papa vor mir nach Haus. Er hat Krankenbesuche gemacht; dabei verteilt er immer solche Bilder.« Sie zog zwei bunte Bildchen aus ihrer ledernen Tasche. »Da haben Sie auch welche.« Jadassohn bekam die Sünderin Magdalena, Diederich das Lamm mit dem Hirten; er war nicht zufrieden. »Ich will auch eine Sünderin.« Käthchen suchte, fand aber keine mehr. »Also bleibt es bei dem Schaf«, entschied sie, und man zog ab, Käthchen in der Mitte eingehängt. Ruckweise und in weitem Bogen schwenkten alle drei sich durch die schlecht beleuchtete Gäbbelchenstraße dahin, wobei sie ein Kirchenlied sangen, das Käthchen angestimmt hatte. An einer Ecke erklärte sie, eilen zu müssen, und verschwand in der Seitengasse. »Adieu Schaf!« rief sie Diederich zu, der ihr vergeblich nachstrebte. Jadassohn hielt ihn fest, und plötzlich nahm er seine staatserhaltende Stimme an, um Diederich zu überzeugen, daß dies alles nur ein zufälliger Scherz sei. »Es liegt durchaus nichts Mißverständliches vor, das möchte ich feststellen.«
»Ich denke nicht daran, hier etwas mißzuverstehen«, sagte Diederich.
»Und wenn ich«, fuhr Jadassohn fort, »den Vorzug hätte, von der Familie Zillich für eine nähere Verbindung in Aussicht genommen zu sein, dieser Vorfall würde mich keineswegs abhalten. Ich folge nur einer Ehrenpflicht, wenn ich dies ausspreche.«
Diederich erwiderte: »Ich weiß Ihr korrektes Verhalten voll und ganz zu würdigen.« Darauf schlugen die Herren die Absätze zusammen, schüttelten einander die Hände und trennten sich.
Käthchen und Jadassohn hatten beim Abschied ein Zeichen ausgetauscht; Diederich war überzeugt, sie würden sich gleich jetzt wieder im Grünen Engel zusammenfinden. Er öffnete den Winterrock, ein Hochgefühl schwellte ihn, weil er eine bösartige Falle aufgedeckt und sich streng kommentmäßig aus der Sache gezogen hatte. Er empfand eine gewisse Achtung und Sympathie für
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