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Der Untertan

Der Untertan

Titel: Der Untertan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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Jadassohn. Auch er selbst würde so gehandelt haben! Unter Männern verständigte man sich. Aber so ein Weib! Käthchens anderes Gesicht. Die Pfarrerstochter, der unvermutet das entfesselte Weib ins Gesicht gestiegen war, dies tückische Doppelwesen, so fremd der Biederkeit, die Diederich am Grunde seines eigenen Herzens wußte: es erschütterte ihn wie ein Blick ins Bodenlose. Er knöpfte den Rock wieder zu. Es gab also noch andere Welten außerhalb der bürgerlichen, als nur die, worin jetzt der Herr Lauer lebte.
    Schnaufend setzte er sich zum Abendessen. Seine Stimmung schien so bedrohlich, daß die drei Frauen Schweigen bewahrten. Frau Heßling nahm ihren Mut zusammen. »Schmeckt es dir nicht, mein lieber Sohn?« Anstatt einer Antwort herrschte Diederich die Schwestern an. »Mit Käthchen Zillich verkehrt ihr nicht mehr!« Da sie ihn ansahen, errötete er und stieß drohend aus: »Sie ist eine Verworfene!« Aber sie verzogen nur den Mund; und auch die furchtbaren Andeutungen, in denen er sich polternd erging, schienen sie nicht weiter aufzuregen. »Du sprichst wohl von Jadassohn?« fragte Magda endlich, ganz gelassen. Diederich fuhr zurück. Sie waren also eingeweiht und mitverschworen: alle Weiber wahrscheinlich. Auch Guste Daimchen! Die hatte schon einmal davon angefangen. Er mußte sich die Stirn trocknen. Magda sagte: »Wenn du vielleicht ernste Absichten gehabt hast bei Käthchen, uns hast du ja nicht gefragt«; worauf Diederich, um sein Ansehen zu verteidigen, dem Tisch einen Stoß gab, daß alle aufkreischten. Er verbitte sich derartige Zumutungen, schrie er. Es gebe hoffentlich noch anständige Mädchen. Frau Heßling bat zitternd: »Du brauchst ja nur deine Schwestern anzusehen, mein lieber Sohn.« Und Diederich sah sie wirklich an; er blinzelte, und er überlegte zum erstenmal, nicht ohne Bangen, was diese beiden weiblichen Wesen, die seine Schwestern waren, bisher wohl mit ihrem Leben angefangen hatten... »Ach was«, entschied er und richtete sich stramm auf, »euch zieht man einfach die Kandare fester. Wenn ich eine Frau habe, die soll sich wundern!« Da die Mädchen einander zulächelten, erschrak er, denn er hatte an Guste Daimchen gedacht, und vielleicht dachten auch sie mit ihrem Lächeln an Guste? Zu trauen war keiner. Er sah Guste vor sich, weißblond, mit dem dicken, rosigen Gesicht. Ihre fleischigen Lippen öffneten sich, sie streckte ihm die Zunge heraus. Das hatte vorhin Käthchen Zillich getan, als sie ihm »Adieu, Schaf!« zurief, und Guste, die ihr im Typus so ähnlich war, würde mit ausgestreckter Zunge und in halb betrunkenem Zustand genauso ausgesehen haben!
    Magda sagte eben: »Käthchen ist schön dumm; aber begreiflich ist es ja, wenn man so lange warten muß und keiner kommt.«
    Sofort griff Emmi ein. »Wen meinst du, bitte? Wenn Käthchen sich mit irgendeinem Kienast begnügt hätte, würde sie wohl auch nicht mehr warten.«
    Magda, im Bewußtsein, die Tatsachen für sich zu haben, blähte einfach ihr Bluse auf und schwieg.
    »Überhaupt«, Emmi warf die Serviette hin und erhob sich, »wie kannst du das gleich glauben, was die Männer von Käthchen reden. Das ist abscheulich, sollen wir denn alle wehrlos sein gegen ihren Klatsch?« Empört ließ sie sich in der Ecke nieder und begann zu lesen. Magda hob nur die Schultern — indes Diederich angstvoll und vergeblich nach einem Übergang suchte, um zu fragen, ob vielleicht auch Guste Daimchen —? Bei einer so langen Verlobung —? »Es gibt Situationen«, äußerte er, »wo es nicht mehr Klatsch ist.« Da schleuderte Emmi auch das Buch hin.
    »Und wenn schon! Käthchen tut, was sie will! Wir Mädchen haben ebensogut wie ihr das Recht, unsere Individualität auszuleben! Die Männer sollen froh sein, wenn sie uns dann nachher noch kriegen!«
    Diederich stand auf. »Das will ich in meinem Hause nicht hören«, sagte er ernst, und er blitzte Magda so lange an, bis sie nicht mehr lachte.
    Frau Heßling brachte ihm die Zigarre. »Von meinem Diedel weiß ich ganz genau, daß er so eine niemals heiraten wird« — sie streichelte ihn tröstend. Er versetzte mit Nachdruck: »Ich kann mir nicht denken, Mutter, daß ein echter deutscher Mann das jemals getan hat.«
    Sie schmeichelte. »Oh, alle sind nicht so ideal wie mein lieber Sohn. Manche denken materieller und nehmen mit dem Geld auch mal was in den Kauf, worüber die Leute reden.« Unter seinem gebieterischen Blick schwatzte sie angstvoll weiter. »Zum Beispiel Daimchen. Gott, nun ist

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