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Der Untertan

Der Untertan

Titel: Der Untertan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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so, alle Leute sind schon fort.« Sie lachte selbstsicher. »Ich hab mir doch gleich gedacht, was Sie jetzt noch in der Fabrik zu tun haben.« Diederich machte ein herausforderndes Gesicht. »Na und Sie? Warum sind Sie überhaupt gekommen heute? Sie haben wohl gemerkt, daß ich doch nicht so ohne bin? Freilich, Ihr Wolfgang — Jeder kann sich nicht so blamieren wie er, neulich vor Gericht.« Darauf sagte Guste entrüstet: »Seien Sie nur ganz still, Sie werden doch nie so ein feiner Mann wie er.« Aber ihre Augen sagten etwas anderes. Diederich sah es; erregt lachte er auf. »Wie der es eilig hat mit Ihnen! Wissen Sie auch, wofür er Sie ansieht? Für einen Kochtopf mit Wurst und Kohl, und ich soll ihn umrühren!« — »Jetzt lügen Sie«, sagte Guste vernichtend; aber Diederich war im Zuge. »Ihm ist nämlich nicht genug Wurst und Kohl drin. — Anfangs hat er natürlich auch gedacht, Sie hätten eine Million geerbt. Aber für fünfzigtausend Mark ist solch ein feiner Mann nicht zu haben.« Da kochte Guste auf. Diederich fuhr zurück, so gefährlich sah es aus. »Fünfzigtausend! Ihnen ist gewiß nicht wohl? Wie komme ich dazu, daß ich mir das muß sagen lassen!
    Wo ich bare dreihundertfünfzigtausend auf der Bank zu liegen hab, in richtiggehenden Papieren! Fünfzigtausend! Wer so etwas Ehrenrühriges von mir herumerzählt, den kann ich überhaupt belangen!« Sie hatte Tränen in den Augen; Diederich stammelte Entschuldigungen. »Lassen Sie nur« — und Guste benutzte ihr Taschentuch. »Wolfgang weiß genau, woran er bei mir ist. Aber Sie selbst, Sie haben den Schwindel geglaubt. Darum waren Sie auch so frech!« rief sie. Ihre rosigen Fettpolster zitterten vor Zorn, und die kleine eingedrückte Nase war ganz weiß geworden. Er sammelte sich. »Daran sehen Sie doch, daß Sie mir auch ohne Geld gefallen«, gab er zu bedenken. Sie biß sich auf die Lippen. »Wer weiß«, sagte sie mit einem Blick von unten, schmollend und unsicher. »Für Leute wie Sie sind fünfzigtausend auch schon Geld.«
    Er hielt es für angezeigt, eine Pause zu machen. Sie zog aus ihrem goldenen Beutel den Puderquast, und sie setzte sich. »Ich bin wirklich ganz echauffiert von Ihrem Betragen!« Aber sie lachte wieder. »Haben Sie mir vielleicht sonst noch etwas zu zeigen in Ihrer sogenannten Fabrik?« Er nickte bedeutsam. »Wissen Sie wohl, wo Sie jetzt sitzen?« — »Na, auf einem Lumpensack.« — »Aber auf was für einem! In dieser Ecke, hinter den Säcken hier hab ich mal einen Arbeiter und ein Mädchen ertappt, wie sie gerade: Sie verstehen. Natürlich sind beide geflogen; und am Abend, jawohl, am selben Abend« — er hob den Zeigefinger, in seinen Augen entstand ein Schauder höherer Dinge — »haben sie den Kerl totgeschossen, und das Mädchen ist verrückt geworden.« Guste sprang auf. »War das —? Ach Gott, das war der Arbeiter, der den Wachtposten gereizt hat...? Also hinter den Säcken haben sie —?« Ihre Augen gingen über die Säcke, als suchte sie Blut darauf. Sie hatte sich nahe zu Diederich geflüchtet. Plötzlich sahen sie einander in die Augen; darin bewegten sich die gleichen abgründigen Schauder, des Lasters oder des Übersinnlichen. Sie atmeten hörbar einander an. Guste schloß, eine Sekunde lang, die Lider: da plumpsten sie auch schon beide auf die Säcke, rollten, ineinander verwickelt, hinab und durch den dunklen Raum dahinter, schlugen um sich, keuchten und prusteten, als seien sie dort unten am Ertrinken.
    Guste zuerst erreichte wieder das Licht. Den Fuß, an dem er sie festhalten wollte, stieß sie ihm ins Gesicht und sprang heraus, daß es krachte. Als Diederich sich glücklich ihr nachgearbeitet hatte, standen sie da und schnauften. Gustes Busen, Diederichs Bauch gingen beide im Sturm. Sie erlangte vor ihm die Sprache zurück. »Das müssen Sie mit 'ner andern versuchen! Wie komm ich überhaupt dazu!« Immer erbitterter: »Ich hab Ihnen doch gesagt, daß es dreihundertfünfzigtausend sind!« Diederich bewegte die Hand, um auszudrücken, daß er seinen Mißgriff zugebe. Aber Guste schrie auf: »Und wie ich aussehe! Soll ich so vielleicht durch die Stadt gehen?« Er erschrak aufs neue und lachte ratlos. Sie stampfte auf. »Haben Sie denn keine Bürste?« Gehorsam machte er sich auf den Weg; Guste rief ihm nach: »Daß gefälligst Ihre Schwestern nichts merken! Sonst reden morgen die Leute von mir!« Er ging nur bis in das Kontor. Wie er zurückkehrte, saß Guste wieder auf dem Sack, das Gesicht in den

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