Der Untertan
bestimmt sei, alles Dagewesene in den Schatten zu stellen. Die Schwestern schienen ganz ahnungslos, und als endlich Namen fielen, zeigten sie sich entsetzt und ungläubig. Frau Heßling beklagte es am lautesten, daß Fräulein Gehritz so etwas auch nur denken könne. Die Schneiderin beteuerte dagegen, in der ganzen Stadt wisse man es schon. Soeben komme sie von der Bürgermeisterin Scheffelweis, deren Mutter geradezu verlangt habe, daß ihr Schwiegersohn einschreite! Dennoch machte es ihr Mühe, die Damen zu überzeugen. Diederich hatte den Vorgang eher umgekehrt erwartet. Er war zufrieden mit den Seinen. Aber hatten denn die Wände tatsächlich Ohren gehabt? Man war zu glauben versucht, daß ein Gerücht, in einem verschlossenen Zimmer ausgebrochen, mit dem Rauch des Ofens hinaus und über die ganze Stadt zog.
Beruhigt war er trotzdem noch nicht. Er sagte sich, daß das gesunde Empfinden des arbeitenden Volkes unter Umständen ein Faktor sei, den man billigen und sogar benutzen könne. Bis zum Mittagessen ging er um Napoleon Fischer herum: da, es läutete schon, entstand bei der Satiniermaschine ein gellendes Geschrei, und Diederich und der Maschinenmeister, die gleichzeitig hinstürzten, zogen gemeinsam den Arm einer jungen Arbeiterin heraus, der von einer Stahlwalze ergriffen worden war. Er troff von schwarzem Blut, Diederich ließ sofort nach dem städtischen Krankenhaus telefonieren. Inzwischen, so übel der Anblick des Armes ihm machte, blieb er selbst dabei, während der Person ein Notverband angelegt ward. Sie sah zu, leise wimmernd und mit Augen, weich im Entsetzen, wie ein junges Tier, das getroffen ist. Diederichs menschenfreundliche Fragen nach ihren häuslichen Verhältnissen verstand sie nicht. Napoleon Fischer antwortete für sie. Ihr Vater war durchgegangen, die Mutter bettlägerig; das Mädchen ernährte sich und ihre zwei kleinen Geschwister. Sie war erst vierzehn Jahre alt. — Das sehe man ihr nicht an, meinte Diederich. Übrigens seien die Arbeiterinnen oft genug vor der Maschine gewarnt worden. »Sie hat sich das Unglück selbst zuzuschreiben, ich bin zu nichts verpflichtet. Na«, sagte er milder, »nun kommen Sie mal mit, Fischer!«
Im Kontor schenkte er zwei Kognaks ein. »Das kann man brauchen auf den Schrecken... Sagen Sie ehrlich, Fischer, glauben Sie, daß ich zahlen muß? Die Schutzvorrichtungen an der Maschine halten Sie doch wohl für genügend?« Und da der Maschinenmeister die Achseln zuckte: »Sie wollen sagen, ich kann es auf einen Prozeß ankommen lassen? Das tue ich aber nicht, ich zahle gleich.«
Napoleon Fischer zeigte verständnislos sein großes gelbes Gebiß, und Diederich fuhr fort: »Ja, so bin ich. Sie dachten wohl, das könnte bloß der Herr Lauer? Was den betrifft, so sind Sie ja jetzt durch Ihr eigenes Parteiblatt über seine Arbeiterfreundlichkeit aufgeklärt. Ich lasse mich freilich nicht wegen Majestätsbeleidigung einsperren und mache dadurch meine Arbeiter brotlos; ich suche mir praktischere Mittel aus, um meine soziale Gesinnung zu bekunden.« Er machte eine feierliche Pause. »Und darum habe ich mich entschlossen, dem Mädchen die ganze Zeit, die es im Krankenhaus liegt, seinen Lohn weiterzuzahlen. Wieviel ist es denn?« fragte er rasch.
»Eine Mark fünfzig«, sagte Napoleon Fischer.
»Na ja... Soll sie acht Wochen liegen. Soll sie zwölf Wochen liegen... Ewig natürlich geht es nicht.«
»Sie ist erst vierzehn«, sagte Napoleon Fischer, von unten. »Sie kann Schadenersatz verlangen.« Diederich erschrak, er schnaufte.
Napoleon Fischer hatte schon wieder sein unbestimmbares Grinsen aufgesetzt und sah seinem Arbeitgeber auf die Faust, die angstvoll in der Tasche geballt war. Diederich zog sie hervor. »Nun setzen Sie die Leute von meinem hochherzigen Entschluß in Kenntnis! Das paßt Ihnen wohl nicht in den Kram? Die Gemeinheiten der Kapitalisten erzählt ihr euch natürlich lieber. In euren Versammlungen schwingt ihr jetzt wahrscheinlich große Reden über Herrn Buck.«
Napoleon Fischer sah verständnislos aus, was Diederich nicht beachtete. »Ich finde es wohl auch nicht eben schön«, fuhr er fort, »wenn jemand seinen Sohn ausgerechnet das Mädchen heiraten läßt, mit dessen Mutter er selbst was gehabt hat, und zwar vor der Geburt der Tochter ... Aber —«
In Napoleon Fischers Gesicht begann es zu arbeiten.
»Aber!« wiederholte Diederich stark. »Ich wäre durchaus nicht einverstanden, wenn meine Leute sich deswegen den Mund verrenken und wenn
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