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Der Untertan

Der Untertan

Titel: Der Untertan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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traurige Weihnachten heran. Die Geschwister sprachen nicht miteinander; Frau Heßling verließ das verschlossene Zimmer, wo sie den Baum schmückte, nie anders als mit verweinten Augen. Und am Heiligen Abend, wie sie ihre Kinder hineinführte, sang sie ganz allein mit zitternder Stimme »Stille Nacht«. »Dies schenkt Diedel seinen lieben Schwestern!« sagte sie und machte ein bittendes Gesicht, damit er sie nicht Lügen strafe. Emmi und Magda dankten ihm verlegen, er besah ebenso verlegen die Gaben, die angeblich von ihnen kamen. Es tat ihm leid, daß er die gewohnte Christbaumfeier der Arbeiter, trotz Sötbiers dringendem Rat, abgelehnt hatte, um die unbotmäßige Gesellschaft zu strafen. Sonst hätte er jetzt mit den Leuten zusammensitzen können. Hier in der Familie war es eine künstliche Sache, eine Aufwärmung alter, verbrauchter Stimmung. Echt wäre sie erst geworden durch eine, die nicht dabei war: Guste... Der Kriegerverein war ihm verschlossen, und im Ratskeller würde er niemand gefunden haben, wenigstens keinen Freund. Diederich erschien sich vernachlässigt, unverstanden und verfolgt. Wie fern lagen die harmlosen Zeiten der Neuteutonia, als man in langen, von Wohlwollen beseelten Reihen sang und Bier trank. Heute, im rauhen Leben, brachten keine wackeren Kommilitonen mehr einander ehrliche Schmisse bei, sondern lauter verräterische Konkurrenten wollten sich gegenseitig an den Hals. ›Ich passe nicht in diese harte Zeit‹, dachte Diederich, aß Marzipan von seinem Teller und träumte in die Lichter des Weihnachtsbaumes. ›Ich bin doch gewiß ein guter Mensch. Warum ziehen sie mich in so häßliche Dinge hinein wie dieser Prozeß, und schaden mir dadurch auch geschäftlich, so daß ich, ach lieber Gott!, den Holländer, den ich bestellt habe, nicht werde bezahlen können.‹ Dabei schnitt es ihm kalt durch den Leib, Tränen traten ihm in die Augen, und damit die Mutter, die immer ängstlich nach seiner sorgenvollen Miene schielte, sie nicht sähe, stahl er sich in das dunkle Nebenzimmer. Er stützte die Arme auf das Klavier und schluchzte in die Hände. Draußen stritten Emmi und Magda um ein Paar Handschuhe, und die Mutter wagte nicht zu entscheiden, wem sie beschert worden waren. Diederich schluchzte. Alles war fehlgeschlagen, in Politik, Geschäft und Liebe. ›Was hab ich denn noch?‹ Er öffnete das Klavier. Ihn fröstelte, er war so unheimlich allein, daß er Angst hatte, ein Geräusch zu machen. Die Töne kamen von selbst, seine Hände wußten es kaum. Aus Volksliedern, Beethoven und dem Kommersbuch klang es durcheinander in der Dämmerung, die sich traulich davon erwärmte, so daß einem wohlig dumpf im Kopf ward. Einmal meinte er, daß eine Hand ihm über den Scheitel streifte. War es nur ein Traum? Nein, denn auf dem Klavier stand plötzlich ein volles Bierglas. Die gute Mutter! Schubert, weiche Biederkeit, Gemüt der Heimat... Es ward still, und er wußte es nicht — bis die Wanduhr schlug: eine Stunde war vergangen! »Das war meine Weihnacht«, sagte Diederich und ging hinaus zu den andern. Er fühlte sich getröstet und gekräftigt. Da die Schwestern noch immer wegen der Handschuhe maulten, erklärte er sie für gemütlos und steckte die Handschuhe ein, um sie für sich umzutauschen.
    Die ganze Festzeit ward verdüstert durch die Sorge wegen des Holländers. Sechstausend Mark für einen neuen Patent-Doppel-Holländer System Maier! Das Geld war nicht da und, wie die Dinge lagen, nicht zu beschaffen. Es war ein unbegreifliches Verhängnis, ein schäbiger Widerstand von Menschen und Dingen, der Diederich erbitterte. Wenn sein alter Buchhalter Sötbier nicht dabei war, schlug er mit dem Pultdeckel und schleuderte Briefordner in die Ecken. Für den neuen Herrn, der die Zügel des Betriebes in seine feste Hand genommen hatte, mußten doch ohne weiteres neue Unternehmungen eintreten, die Erfolge warteten auf ihn, die Ereignisse hatten sich seiner Persönlichkeit anzupassen! ... Nach dem Zorn kam der Kleinmut, Diederich traf Vorkehrungen für den Fall einer Katastrophe. Er war sanft mit Sötbier: vielleicht konnte der Alte noch einmal helfen. Auch demütigte er sich vor Pastor Zillich und bat ihn, den Leuten zu sagen, daß er mit der Predigt, von der alle sprachen, nicht auf ihn gezielt habe. Der Pastor versprach es auch, mit sichtlicher Reue, unter dem strafenden Blick seiner Gattin, die sein Versprechen bekräftigte. Dann ließen die Eltern Käthchen mit Diederich allein, und er war ihnen in

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