Der Untertan
öffnete Diederich die Tür zum Packraum und ließ Guste eintreten. »Der Mann ist Sozialdemokrat!« erklärte er. »So ein Kerl wäre imstande, hier Feuer zu legen. Aber ich entlaß ihn nicht: nun gerade nicht! Wollen sehen, wer der Stärkere ist. Die Sozialdemokraten nehme ich auf mich!« Und da Guste ihn bewundernd ansah: »Das hätten Sie wohl nicht gedacht, auf was für einem gefahrvollen Posten unsereiner steht. Furchtlos und treu, ist mein Wahlspruch. Sehen Sie, ich verteidige hier unsere heiligsten nationalen Güter geradeso gut wie unser Kaiser. Dazu gehört mehr Mut, als wenn einer vor Gericht schöne Reden hält.«
Guste sah es ein, sie hatte eine andächtige Miene. »Hier ist es kühler«, bemerkte sie, »wenn man aus der Hölle nebenan kommt. Die Frauen hier können froh sein.« — »Die?« erwiderte Diederich. »Die haben es wie im Paradies!« Er führte Guste zu dem Tisch: eine der Frauen sortierte die Bogen, eine zweite prüfte nach, und die dritte zählte immerfort bis fünfhundert. Alles ging mit unerklärlicher Schnelligkeit; die Bogen flogen ununterbrochen einander nach, wie von selbst und ohne Widerstand gegen die arbeitenden Hände, die im endlos über sie hingehenden Papier sich aufzulösen schienen: Hände und Arme, die Frau selbst, ihre Augen, ihr Gehirn, ihr Herz. Das alles war da und lebte, damit die Bogen flogen... Guste gähnte — indes Diederich erklärte, daß diese Weiber, die im Akkord arbeiteten, sich schändliche Nachlässigkeiten zuschulden kommen ließen. Er wollte schon dazwischenfahren, weil ein Bogen mitflog, woran eine Ecke fehlte. Aber Guste sagte plötzlich mit einer Art von Trotz: »Sie brauchen sich übrigens nicht einzubilden, daß Käthchen Zillich sich für Sie besonders interessiert... Wenigstens nicht mehr als für gewisse andere Leute«, setzte sie hinzu; und auf seine verwirrte Frage, was sie denn meine, lächelte sie bloß anzüglich. »Ich muß Sie doch bitten«, wiederholte er. Darauf nahm Guste ihre gönnerhafte Miene an. »Ich sage es nur zu Ihrem Besten. Denn Sie scheinen nichts zu merken? Mit Assessor Jadassohn zum Beispiel? Aber Käthchen ist überhaupt so eine.« Jetzt lachte Guste laut, so begossen sah Diederich aus. Sie ging weiter, und er folgte. »Mit Jadassohn?« forschte er angstvoll. Da hörte der Lärm der Maschine auf, die Glocke ging, die den Schluß der Arbeit anzeigte, und über den Hof entfernten sich schon Arbeiter. Diederich zuckte die Achseln. »Was Fräulein Zillich macht, läßt mich kalt«, erklärte er. »Höchstens um den alten Pastor tut es mir leid, wenn sie wirklich so eine ist. Wissen Sie das denn genauer?« Guste sah weg. »Überzeugen Sie sich doch selbst!« Worauf Diederich geschmeichelt lachte.
»Lassen Sie das Gas brennen!« rief er dem Maschinenmeister zu, der vorbeiging. »Ich drehe selbst ab.« Gerade ward der Lumpensaal weit geöffnet, für die Fortgehenden. »Oh!« rief Guste, »dort drinnen ist es aber romantisch!« Denn sie erblickte dahinten in der Dämmerung lauter bunte Flecken auf grauen Hügeln und darüber einen Wald von Ästen. »Ach«, sagte sie, im Nähertreten. »Ich dachte, weil es hier schon so dunkel ist... Das sind ja bloß Lumpensäcke und Heizungsrohre.« Und sie verzog das Gesicht. Diederich jagte die Arbeiterinnen empor, die trotz der Betriebsordnung sich auf den Säcken ausruhten. Mehrere, kaum daß die Arbeit fortgelegt war, strickten schon, andere aßen. »Das könnte euch passen«, schnaubte er. »Wärme schinden auf meine Kosten! Raus!« Sie standen langsam auf, ohne ein Wort, ohne Widerstand in der Miene; und vorbei an der fremden Dame, nach der alle dumpf neugierig den Kopf wandten, trabten sie in ihren Männerschuhen hinaus, schwerfällig wie eine Herde und umgeben von dem Dunst, worin sie lebten. Diederich behielt jede scharf im Auge, bis sie draußen war. »Fischer!« schrie er plötzlich. »Was hat die Dicke da unterm Tuch?« Der Maschinenmeister erklärte mit seinem zweideutigen Grinsen: »Das ist nur, weil sie was erwartet« — worauf Diederich unzufrieden den Rücken wandte. Er belehrte Guste. »Ich glaubte, ich hätte eine erwischt. Sie stehlen nämlich Lumpen. Jawohl. Sie machen Kinderkleider draus.« Und da Guste die Nase rümpfte: »Das ist doch zu gut für die Proletenkinder!«
Mit den Spitzen ihrer Handschuhe hob Guste einen der Fetzen vom Boden. Plötzlich hatte Diederich ihr Handgelenk gefangen und küßte es gierig, im Spalt des Handschuhs. Erschreckt sah sie sich um. »Ach
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