Der untröstliche Witwer von Montparnasse
anzustarren, wie du es tust.«
»Ich sehe ihn mir als das an, was er ist«, antwortete Louis ungeduldig und fast unhörbar. »Als den Typ, der in der Zeitung beschrieben wurde, wie er unter den Fenstern der beiden Frauen herumstand. Denn du hast recht, Marthe, das ist er, kein Zweifel. Dieses abstoßende Gesicht und die abgewetzte graubraune Hose, alles stimmt.«
»Red nicht so über ihn«, sagte Marthe drohend. »Was ist denn in dich gefahren?«
»Nur die Tatsache, daß er wirklich überhaupt nichts Einnehmendes hat.«
»Er hat mich. Und wenn du nicht helfen willst, dann reicht's. Du kannst gehen.«
Marc sah zu, wie Louis und Marthe zu streiten begannen, und er war fassungslos über Kehlweilers Brutalität. Gemeinhin war der Deutsche ein weitschweifiger und ruhiger Typ, der nicht geradeheraus urteilte. Er war ein Gegner der Perfektion, respektierte Schwächen, war ein Meister des Zweifels und der Verwirrung und beschimpfte Leute nur, wenn es wirklich angebracht war. Seine offenkundige Verachtung für den armen Typen, der da auf dem Bett saß, war irritierend. Aber Louis mochte Mörder nicht, und er liebte die Frauen. Und ganz offensichtlich sprang ihm die Unschuld des Mannes nicht gerade ins Gesicht. Clement hatte seine Hände um die Knie gelegt, ließ Marthe nicht aus den Augen und schien sich anzustrengen, das, was um ihn herum gesagt wurde, zu verstehen. Marc hatte den Eindruck, daß er vor allem wie ein Trottel wirkte, und das machte ihn traurig. Marthe hatte sich da wirklich ein merkwürdiges Püppchen ausgesucht.
Er ging zum Wasserhahn, um etwas zu trinken, wischte sich die Lippen mit dem Ärmel ab und klopfte Louis auf die Schulter.
»Wir haben ihm noch nicht einmal zugehört«, sagte er sanft und deutete mit dem Kinn auf Clement.
Louis atmete tief durch und stellte überrascht fest, daß Marc völlig ruhig war und er fast außer sich, wo es doch sonst immer eher umgekehrt war.
»Genau wie ich dir vorhin gesagt habe«, sagte er und wurde langsam etwas ruhiger. »Dieser Typ verdreht jedem den Kopf. Bring mir ein Bier, Marthe, wir werden versuchen, miteinander zu reden.«
Er warf einen vorsichtigen Blick auf den Mann mit dem Trottelgesicht, der sich nicht von dem Bett gerührt hatte, die Hände noch immer an die Knie gepreßt, und ihn mit seinen schönen, leeren Augen in dem weißen Gesicht anstarrte.
Marthe schob Louis abweisend einen Holzstuhl hin. Marc nahm ein dickes Kissen und setzte sich im Schneidersitz auf den Boden. Louis warf ihm flüchtig einen neidischen Blick zu, setzte sich auf den Stuhl und streckte seine langen Beine von sich. Er holte tief Luft, bevor er anfing.
»Du heißt Clement? Clement wie?«
Der junge Mann richtete sich auf.
»Vauquer«, antwortete er mit dem eifrigen Ausdruck eines Typen, der entschlossen ist, für volle Zufriedenheit zu sorgen.
Dann warf er Marthe einen Blick zu, die ihm ein Zeichen der Zustimmung gab.
»Warum hast du Marthe gesucht?«
Der Mann runzelte die Stirn und mahlte mit den Kiefern, als ob er Gedanken zermalmte. Dann kehrte er zu Louis zurück.
»Klein a, weil ich niemanden von mir gekannt habe, klein b, weil ich mich persönlich in eine schreckliche Mannschaft gestrickt habe. Klein c, die Mannschaft war in der Zeitung. Davon nämlich hab ich es persönlich heute morgen hören können.«
Louis sah Marthe benommen an.
»Redet der immer so?« flüsterte er.
»Nur weil du ihn einschüchterst«, entgegnete sie gereizt. »Er versucht, komplizierte Sätze zu bilden, und schafft es nicht. Du mußt nur ein bißchen einfacher reden.«
»Wohnst du nicht mehr in Paris?« fragte Louis weiter.
»In Nevers. Aber ich habe Paris in meiner ganz persönlichen Kindheit gekannt. Mit Marthe.«
»Aber du bist nicht wegen Marthe hergekommen?«
Clement Vauquer schüttelte den Kopf.
»Nein, ich bin nach dem Telefonanruf gekommen.«
»Was machst du in Nevers?«
»Tagsüber Akkordeonlieder auf den Plätzen und abends in den Cafés.«
»Bist du Musiker?«
»Nein, ich spiele einfach nur Akkordeon.«
»Glaubst du's nicht?« fragte Marthe dazwischen.
»Laß mich machen, Marthe. Es ist so schon nicht einfach, glaub mir. Setz dich hin, anstatt hier rumzustehen und gleich an die Decke zu gehen, du machst alle nur nervös.«
Louis hatte seine langsame und beruhigende Stimme wiedergefunden. Er konzentrierte sich auf den mageren jungen Mann, und Marc, der in kleinen Schlucken ein Bier trank, sah ihm dabei zu. Der Klang von Clements Stimme hatte ihn überrascht, es
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