Der untröstliche Witwer von Montparnasse
Offenheit vom Vortage. Schließlich war Kehlweiler nicht mehr im Ministerium, Kehlweiler war nichts mehr.
Louis dachte über eine Möglichkeit nach, die Sache im Griff zu behalten, als Loisel seine Tür öffnete und ihm bedeutete einzutreten.
»Salut, Deutscher. Ist irgendwas?«
»Ein Detail, das ich mir gerne noch mal ansehen würde, und eine Überlegung, die ich dir gerne mitteilen würde. Danach begebe ich mich ins 19.«
»Nicht nötig«, sagte Loisel lächelnd. »Ich bin ab jetzt für beide Fälle zuständig. Ich koordiniere die gesamte Ermittlung.«
»Ausgezeichnete Neuigkeit. Es ist mir eine Freude, daß ich dir habe einen Gefallen tun können.«
»Wovon redest du?«
»Ich habe mir Sorgen gemacht, daß der Fall in die Klauen deines Kollegen geraten könnte«, sagte Louis ausweichend. »So daß ich mir gestern abend erlaubt habe, ein paar Anrufe beim Ministerium zu tätigen, bei denen ich dich erwähnt habe. Ich bin zufrieden zu hören, daß es genutzt hat.«
Loisel erhob sich und schüttelte Louis mit beiden Händen die Hand.
»Aber das ist doch normal, Alter. Red nicht davon, du würdest nur meine diskreten Beziehungen belasten.«
Loisel machte ein Zeichen stummen Verständnisses und setzte sich strahlend wieder. Louis schämte sich nicht im geringsten, Bullen zu belügen gehörte zur Routine, zu seiner genau wie zu ihrer. All das geschah nur für Marthe.
»Was wolltest du dir noch mal ansehen, Deutscher?« fragte Loisel, der wieder zu dem liebenswerten und kooperativen Mann vom Vortag geworden war.
»Die Fotos der Opfer in situ und eine Großaufnahme von der oberen Hälfte des Körpers, bitte.«
Loisel schlurfte zu seinem Metallschrank, dabei verursachte er ein leises Scharren auf dem Linoleum. Scharrend kam er zu Louis zurück und legte die erbetenen Abzüge auf den Tisch. Louis sah sie sich aufmerksam an.
»Da«, sagte er zu Loisel und zeigte auf eines der Fotos, rechts neben den Kopf. »Da, auf dem Teppich, kannst du da nichts erkennen?«
»Doch, ein bißchen Blut auf dem Teppich. Ich weiß, die da ist mein Opfer.«
»Das ist ein Fellteppich, nicht wahr?«
»Ja, eine Art Ziegenfell.«
»Hast du nicht auch den Eindruck, daß eine Hand nahe beim Kopf das Fell durchwühlt hat?«
Loisel runzelte seine hellen Augenbrauen und ging mit dem Foto ans Fenster.
»Meinst du, es wäre an der Stelle stärker verfilzt?«
»Ja, genau das. Zerknittert, verstrubbelt.«
»Das kann gut sein, mein Lieber, aber ein Ziegenfell verstrubbelt nun mal leicht. Ich kann dir nicht folgen.«
»Sieh dir das andere Foto an«, sagte Louis und ging zu ihm ans Fenster, »das Foto von dem ersten Mord. Da, an derselben Stelle, neben dem Kopf, neben dem linken Ohr.«
»Das ist Teppichboden. Was soll man darauf erkennen?«
»Kratzspuren, Reibspuren, als ob der Typ an derselben Stelle auf dem Boden gekratzt hätte.«
Loisel schüttelte den Kopf.
»Nein, mein Lieber, ich sehe nichts. Wirklich.«
»Gut. Vielleicht spinne ich.«
Louis zog seine Jacke an, nahm die Zeitungen und wandte sich zur Tür.
»Sag mir noch, bevor ich gehe: Was erwartet ihr eigentlich genau? Einen dritten Mord?«
Loisel nickte.
»Ganz sicher, wenn wir den Typ nicht vorher schnappen.«
»Warum sicher?«
»Weil er keinen Grund hat aufzuhören, deshalb. Wenn so ein Triebtäter mal loslegt, dann hört er nicht so schnell wieder auf, mein Lieber. Wo? Wann? Keinerlei Fährte. Unsere einzige Chance, die nächste Frau zu retten, ist das hier.«
Er zeigte auf das Phantombild in der Zeitung.
»Unter zwei Millionen Parisern wird doch wohl einer sein, der uns sagt, wo er ist. Mit seiner Trottelvisage kann er sich nicht unbemerkt bewegen. Selbst wenn er sich die Haare fuchsrot färben würde, würde man ihn noch erkennen. Aber es würde mich wundern, wenn er an so was dächte.«
»Ja«, sagte Louis, der froh war, Marthe von fuchsrot abgeraten zu haben. »Und wenn er sich seit Erscheinen des Bildes versteckt?«
»In einem Versteck gibt's immer Leute. Und ich wüßte nicht, wer so behämmert sein könnte, so einen Dreckskerl zu verteidigen.«
»Ja«, wiederholte Louis.
»Außer seiner Mutter natürlich ...«, seufzte Loisel. »Mütter verhalten sich nie wie alle anderen.«
»Ja.«
»Obwohl die Mutter in diesem Fall schon eine komische Nummer gewesen sein muß, damit er so geworden ist. Na ja, ich werd nicht anfangen, ihn zu bedauern, was? Das fehlte gerade noch. Wenn wir Glück haben, ist er heute abend hier in meinem Büro. Du siehst, wegen dem
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