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Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Titel: Der untröstliche Witwer von Montparnasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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versteinert diesen Kerl anstarren, wie?«
    »Aber das ist er doch ... Gisele?«
    »Das ist er nicht, merk dir das, und jetzt ist Schluß.« Gisele fuchtelte mit ihrem Finger vor Lines Gesicht herum und fuhr fort:
    »Denn der Typ, den wir neulich gesehen haben, ist der Junge von der alten Marthe. Du kannst dir doch wohl nicht vorstellen, daß der Junge von der alten Marthe, von einer Kapazität im Viertel, loszieht und mit all der Erziehung, die er abgekriegt hat, hier die Mädels abmurkst? Oder?«
    »Nein«, sagte Line.
    »Na also, du siehst selbst, daß du Blödsinn redest.«
    Da Line schwieg, setzte Gisele in ernsterem Ton nach.
    »Sag mal, meine kleine Line, du überlegst dir nicht zufällig gerade, einen Unschuldigen den Bullen auszuliefern, na?«
    Line sah Gisele etwas besorgt an.
    »Deine Arbeit könntest du dann nämlich ziemlich schnell vergessen. Wenn du also unter dem Vorwand, daß du ein Huhn nicht von einer Ente unterscheiden kannst, alles verlieren willst, dann mach nur, du bist volljährig.«
    »O. k., Gisele. Aber schwörst du mir, daß das nicht derselbe Typ ist?«
    »Ich schwöre nie.«
    »Aber es ist wirklich nicht derselbe?«
    »Nein, es ist nicht derselbe. Gib mir jetzt deine Zeitung, die bringt dich nur auf dumme Gedanken.«
    Gisele sah der kleinen Line nach, die sich entfernte. Das Mädchen würde stillhalten. Aber kann man bei den jungen Dingern je sicher sein? Sie würde sie streng überwachen müssen.
     

16
     
    Als Louis zu der Bruchbude in die Rue Chasle eilte, fragte er sich, ob vielleicht zufällig noch etwas von dem Gratin des Vorabends übrig sein würde. Vandoosler der Ältere schien vom Kochen was zu verstehen, und es war Ewigkeiten her, seit er sein letztes Gratin gegessen hatte. Denn Gratin ist zwangsläufig ein Gemeinschaftsessen. Und wenn man allein ist, kann man nicht darauf hoffen, in Gemeinschaft zu essen.
    Gewiß, der Hausstand der drei Typen, die sich mit fast Vierzig mit dem alten Onkel Vandoosler diese Bruchbude teilten, konnte nicht unbedingt als Modell für eine erfüllte Existenz gelten. Darüber hatte er oft lächeln müssen. Aber vielleicht täuschte er sich. Denn in Wahrheit hatte sein Leben als Kriminalist auf eigene Faust, Bismarck-Übersetzer und Schuhordner auch nichts Modellhaftes. Sie teilten wenigstens die Miete, jeder hatte sein eigenes Stockwerk, sie waren nicht allein, und zu allem Überfluß aßen sie auch noch Gratin. Wenn er darüber nachdachte, war das gar nicht so blöd. Und niemand hatte gesagt, es sei für immer. Louis neigte zu der Vermutung, daß Mathias der erste wäre, der mit einer Frau die Baracke verlassen würde. Aber womöglich wäre es vielleicht sogar der Alte.
    Es war nach eins, als er an die Tür klopfte. Lucien ließ ihn eilig herein. Er war mit Küchendienst dran und beeilte sich, mit dem Abwasch fertig zu sein, bevor er zu seinem Unterricht ging.
    »Habt ihr schon alle gegessen?« fragte Louis.
    »Ich habe Unterricht um zwei. Donnerstags beeilen wir uns immer.«
    »Ist Marc da?«
    »Ich rufe ihn.«
    Lucien packte den Besenstiel und klopfte zweimal an die Decke.
    »Was ist das für ein System?« fragte Louis etwas erstaunt.
    »Das ist das interne Radiokommunikationssystem. Ein Schlag für Mathias, zwei Schläge für Marc, drei Schläge für mich, vier für den Alten, und sieben bedeuten allgemeine Einberufung vor dem Aufbruch an die Front. Wir können nicht ständig die Treppen rauf- und runterlaufen.«
    »Aha«, sagte Louis, »das wußte ich noch nicht.«
    Dabei betrachtete er einen Teil der Gipsdecke, der mit kleinen Eindruckstellen übersät war.
    »Natürlich verursacht das Schäden im Putz«, bemerkte Lucien. »Kein System ist vollkommen.«
    »Und Vauquer? Wie ging das? Keine Verwicklungen?«
    »Nicht die geringste. Haben Sie das Porträt in der Zeitung gesehen? Die haben den Typ ja wirklich gut getroffen. Heute mittag hat er hier mit uns gegessen, aber bei geschlossenen Läden. Bei der Hitze fällt das den Nachbarn gar nicht auf. Jetzt ruht er sich aus. Persönliche Mittagsruhe, hat er gesagt.«
    »Erschreckend, was der Typ schlafen kann.«
    »Meiner Meinung nach ist er ein Nervöser«, sagte Lucien und zog seine Küchenschürze aus.
    Man hörte, wie Marc die Treppe herunterkam.
    »Ich verschwinde«, sagte Lucien und band seine Krawatte enger. »Ich muß den jungen Köpfen die Katastrophen unseres zwanzigsten Jahrhunderts erklären. Soviel Staub im Kopf eines Kindes ... «,fügte er murmelnd hinzu.
    In Windeseile verließ er den

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