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Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Titel: Der untröstliche Witwer von Montparnasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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geboren war. Aber sie liebt mich, das Gegenteil von meinem Vater. Sie ist in Spanien. Die Stimme am Telefon ist ein Mann.«
    »Ja, ich weiß, Clement.«
    Louis warf Marc einen etwas entmutigten Blick zu.
    »Wir machen es anders«, schlug Louis vor. »Sag mir, wo du gelebt hast, nachdem du Marthe verlassen hast.«
    »Mein Vater hat mich nach Nevers in eine Schule geschickt.«
    »Kein Ärger mit der Schule?«
    »Aber nein, gar kein Ärger. Ich bin nicht hingegangen.«
    »Erinnerst du dich, wie die Schule hieß?« fragte Louis und zog einen Kuli hervor.
    »Ja. Die Schule von Nevers.«
    »O. k.«, sagte Louis und steckte den Kuli wieder weg. »Hast du dort das Musizieren gelernt?«
    »Danach. Ich war persönlich sechzehn geworden, folgsam habe ich die Schule verlassen.«
    »Und wo warst du dann?«
    »Ich bin fünf Jahre hinweg zum Gärtner geworden, im Institut Merlin.«
    »In Nevers?«
    »Ganz in der Nähe von Nevers.«
    »Das Institut Merlin, sagst du? Was ist das für ein Institut?«
    Clement hob seine Arme zum Zeichen der Unkenntnis.
    »Für Unterricht«, sagte er. »Ein Institut für Unterricht für Schüler, für große Schüler, für Erwachsene. Und drumherum ist ein Park, was mich angeht, wo ich zweiter Gärtner war.«
    »Und da gab's auch keinen Ärger?«
    »Nein, keinen Ärger.«
    »Denk gründlich nach. Wie waren die anderen zu dir? Nett?«
    »Nett.«
    »Nie eine Prügelei?«
    Clement schüttelte lange den Kopf.
    »Nein«, sagte er. »Ich hasse die persönliche Prügelei. Mir ging es gut da, sehr gut. Monsieur Henri hat mir das Akkordeon beigebracht.«
    »Wer war das?«
    »Der Lehrer für ...«
    Clement zögerte und drückte sich die Nase.
    »Wirtschaft«, sagte er. »Ich bin auch zum Unterricht gegangen, wenn es geregnet hat.«
    »Was für Unterricht?«
    »Unterricht für alles. Es gab ständig Unterricht. Ich bin durch die Tür von hinten reingegangen.«
    Clement sah Louis aufmerksam an.
    »Aber ich habe nicht alle Wörter verstanden«, sagte er.
    »Und auch da kein einziger Feind?«
    »Nein, nichts.«
    »Und dann, nach dem Institut Merlin?«
    »Das war nicht mehr wie vorher ... Ich habe in allen Gärten von Nevers gefragt, aber sie hatten schon ihren Gärtner. Da habe ich Akkordeon gespielt. Das tue ich seit meinen einundzwanziger Jahren.«
    »Auf den Straßen?«
    »Überall, wo Menschen was geben. Man kennt mich persönlich in Nevers, ich spiele in den Cafés, oder man mietet mich am Samstag. Ich habe Geld für mein Zimmer und für alles, was nämlich ein Mann braucht zum Leben.«
    »Gab es Prügeleien?«
    »Keine Prügeleien. Ich mag keine Prügeleien, ich selbst habe nie welche. Ich lebe ruhig, und das Akkordeon auch. Das ist gut. Mir war Gärtnern bei Merlin lieber.«
    »Aber warum bist du dann dort weggegangen?«
    »Na, wegen der Vergewaltigung von dem Mädchen im Park.«
    Louis fuhr auf.
    »Wegen der Vergewaltigung von einem Mädchen? Hast du ein Mädchen vergewaltigt?«
    »Aber nein.«
    »Hat es eine Schlägerei gegeben?«
    »Aber nein, nicht einmal eine Schlägerei. Ich habe den kalten Wasserschlauch genommen, und ich habe die Typen bespritzt, so wie mit den Hunden, wenn man sie auseinanderbringen will. Das bringt sie sehr gut auseinander. Das Wasser war eiskalt.«
    »Mit wem hast du das gemacht?«
    »Na, mit den widerlichen Typen, die die Frau vergewaltigt haben, und mit den anderen, die sie gehalten haben. Ich hab das mit dem Schlauch gemacht, mit dem Gärtnerschlauch. Das Wasser war eiskalt.«
    »Und ... sag mir ... haben sich die Typen darüber gefreut?«
    »Aber nein! Das Wasser war eiskalt, und sie hatten nackte Oberschenkel, und auch einen nackten Hintern. Das ist ganz schön kalt, nämlich die Temperatur auf der Haut. Und dann hat sie das von der Frau getrennt. Einer wollte mich umbringen. Zwei sogar.«
    Tiefe Stille lastete im Raum, während Louis sich immer wieder mit der Hand durchs Haar fuhr. Ein Sonnenstrahl drang durch die Fensterläden auf den Holztisch. Louis folgte ihm mit einem Finger. Marc beobachtete ihn. Seine Lippen waren zusammengepreßt, seine Züge ein wenig angestrengt, aber das Grün seiner Augen war deutlich und klar. Marc wußte ebenso wie Louis, daß sie auf Land gestoßen waren. Vielleicht war es Schlick, vielleicht waren es Klippen, aber es war Land. Selbst Clement schien etwas zu dämmern. Er sah sie abwechselnd an, dann gähnte er plötzlich.
    »Du bist doch hoffentlich nicht müde?« fragte Louis besorgt, während er erneut Kuli und Papier hervorholte.
    »Ach, es

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