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Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Der untröstliche Witwer von Montparnasse

Titel: Der untröstliche Witwer von Montparnasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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geht«, antwortete Clement würdevoll, als ob er vor dem Abend noch einen Gewaltmarsch von zwanzig Kilometern vor sich hätte.
    »Halt persönlich gut durch«, sagte Louis im selben Ton.
    »Ja«, erwiderte Clement und richtete sich auf.
     

17
     
    Clement redete mehr als eine Stunde, und mitunter recht gewandt. Die Geschichte hatte er damals bereits mehrfach der Polizei erzählen müssen, er erinnerte sich an ganze Satzblöcke, die er bereits verwendet hatte, was ihm die Aufgabe erleichterte. Manchmal stockte der Dialog, wie ein Auto, das rumpelt, sei es, daß Louis Clement nicht mehr verstand, sei es, daß Clement die Hand hob, um Louis zu zeigen, daß er ins Schwimmen geraten war. Das Gespräch verlief also häufig in Rückwärtssprüngen, wobei der eine wie der andere mit der gleichen Geduld die Punkte wieder aufnahm, die ausgelassen worden waren. Die Rekonstruktion der Geschichte war mühselig, aber trotz der Löcher, die Clement nicht zu füllen vermochte, hatte Louis am Ende eine ziemlich klare Vorstellung. Ihm fehlten allerdings einfache Dinge wie Daten, Orte, Namen.
    Louis besah sich seine Notizen.
    So war es zum Beispiel unmöglich gewesen, herauszufinden, ob es sich um April oder Juni handelte, in jedem Fall aber war es ein lauer Monat gewesen, kurz bevor Clement aus dem Institut entlassen worden war. Es war also im Frühling vor neun Jahren geschehen. Clement, der bei offenem Fenster in einem Zimmer über der Garage schlief, hatte ziemlich weit entfernt im Park Schreie gehört. Er war in Richtung der Schreie gerannt, die immer leiser wurden, und hatte drei Männer entdeckt, die brutal über eine Frau hergefallen waren. Zwei hielten sie fest, der dritte lag auf ihr. Die Nacht war ziemlich klar, aber die drei Typen hatten ihre Gesichter unter Strumpfmasken versteckt. Die Frau hatte er erkannt, sie unterrichtete am Institut. Clement wußte ihren Namen nicht mehr. Er hatte sofort an das Wasser gedacht und war zum Wasseranschluß gerannt, der diesen Teil des Parks versorgte. Nachdem er den Schlauch abgewickelt hatte und wieder zurückgerannt war, hatte er den Eindruck, daß der Typ auf der Frau nicht mehr derselbe war. Er hatte den Wasserstrahl auf stärksten Druck gestellt und auf die Typen »geschossen«. Das Wasser war eiskalt, darauf hatte Clement ungefähr fünfzehn Mal hingewiesen. Und mit großer Befriedigung hatte er Louis auch erklärt, daß es sich um einen mächtigen Wasserstrahl gehandelt habe, der für den Rasen im Park vorgesehen sei, ein äußerst scharfer Strahl, der sehr weh tat, wenn man ihn auf kurze Entfernung abkriegte. Die Wirkung auf die halbnackten Männer war beeindruckend gewesen. Sie hatten von der Frau abgelassen, die sofort in eine Ecke gekrochen war und sich zusammengekauert hatte, sie hatten gebrüllt und geschimpft und versucht, ihre klatschnassen Hosen hochzuziehen. Clement erklärte Louis, daß das gar nicht einfach sei, eine zusammengeschrumpelte, tropfende Hose wieder anzuziehen. Clement hatte wütend weitergespritzt. Einer der Typen war wutentbrannt auf ihn zugekommen, um ihn zusammenzuschlagen und umzubringen, er hatte wild geschrien, aber Clement hatte den Wasserstrahl direkt auf seine Strumpfmaske gerichtet, und der Typ hatte losgeheult. Clement hatte die Gelegenheit genutzt und ihm die Strumpfmaske heruntergezogen, und der Typ hatte sich die halb hochgezogene Hose festgehalten und war den anderen beiden gefolgt, nicht ohne sich unaufhörlich umzudrehen und ihn zu beschimpfen. Danach hatte Clement den Wasserstrahl abgestellt und war zu der Frau gegangen, die wimmernd auf der Erde lag, »ganz schmutzig«, hatte Clement gesagt. Man hatte sie geschlagen, sie blutete an der Stirn und zitterte. Er zog sein T-Shirt aus und legte es auf sie, um sie zu bedecken, dann aber wußte er nicht weiter. Erst in dem Moment ergriff ihn panische Angst, da er nicht mehr wußte, wie er sich verhalten sollte. Bei den drei Dreckskerlen, dem Schlauch und dem Wasser war das einfach. Aber gegenüber der Frau war er hilflos. In dem Augenblick kam der Direktor des Instituts angerannt - Clement kannte seinen Namen, Merlin, das war leicht, genau wie das Institut. Als er Clement allein neben der brutal mißhandelten Frau sah, glaubte er sofort, Clement habe sie vergewaltigt, was die Bullen zunächst auch eine ganze Zeitlang glaubten, da Clement der einzige Zeuge war. Der Direktor watete durch den aufgeweichten Rasen, hob die Frau hoch und forderte Clement auf, ihm zu helfen, sie bis zu seinem Haus zu

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