Der unvermeidliche Tod des Lewis Winter
kennt Jamieson nicht so gut, dass er unaufgefordert eintreten darf. Jemand ruft, er soll reinkommen. Er öffnet die Tür, tritt ein und zieht sie hinter sich zu.
Nur Jamieson und Young. Die Fernseher sind aus, das heißt, es geht ums Geschäft. Jamieson sitzt hinter seinem Schreibtisch. Versucht er seriös zu wirken, wie ein Geschäftsmann? Unwahrscheinlich. Er hat tonnenweise Selbstbewusstsein und kein Bedürfnis, den Guten zu spielen. Der Schreibtisch soll ihn nicht seriös wirken lassen, er soll zeigen, dass er das Sagen hat. Young sitzt wie immer auf dem seitlich stehenden Sofa. Keiner von beiden hat was Einschüchterndes. Aber darauf legt es auch keiner von beiden an. Young ist dazu nicht imstande – zu untersetzt und zu entspannt. Doch Jamieson könnte es. Wenn er will, kann er einem Angst einjagen. Mit nur einem Blick. Fast immer ist es der Blick. Wer einen nicht mit dem Blick einschüchtern kann, der kann’s gar nicht. Jamieson könnte es, wenn er wollte.
»Schön, dich zu sehen, Calum, ist schon ’ne Weile her«, sagt er und deutet mit einem Nicken auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. »Leg deinen Mantel ab.«
Calum tut, was man ihm sagt, weil das nun mal so läuft. Er legt den Mantel über die Rückenlehne des Stuhls und setzt sich. Jetzt sitzt er Jamieson gegenüber, und Young ist knapp außerhalb seines Blickfelds. Das ist Absicht und soll ihn verunsichern. Man weiß nicht, was Young gerade tut. Ob er mit den Lippen lautlos Worte formt. Ob er eine Geste macht. Man kann nicht sehen, wie er reagiert. Weiß nicht mal, ob er zuhört. Das ist der Sinn des Ganzen. Wenn man das Büro verlässt, weiß man höchstens, was einer der beiden denkt.
»Kommen wir zur Sache«, sagt Jamieson mit jenem unterkühlten Gesichtsausdruck, der einem sagt, dass man aufpassen muss. »Hast du in letzter Zeit viel gearbeitet?«
Er will wissen, ob Calum in letzter Zeit viele Morde begangen hat. Wenn man in kurzer Zeit zu viele Leute umbringt, erregt man zwangsläufig Aufmerksamkeit. Jamieson ist da clever, hat ein gutes Gespür. Lass dich mit keinem ein, der zu viel zu tun hatte. Aber auch mit keinem, der gar nicht gearbeitet hat. Nicht zu heiß, nicht zu kalt, sondern gerade richtig. Jemand, bei dem alles stimmt. Man antwortet, weil es nicht anders geht, aber es ist unangenehm. Auch wenn mit Calums Antwort alles in Ordnung ist, muss er Jamieson vertrauen. Er muss darauf vertrauen, dass was er sagt, den Raum nicht verlässt. Keine Wanzen. Kommt selten vor, ist aber nicht unmöglich.
»Ich arbeite regelmäßig«, antwortet Calum. »Ich zerreiß mich aber nicht.«
Die richtige Antwort. Das bedeutet nicht viel, doch fürs Erste ist es ganz gut. Jamieson weiß, dass Calum intelligent ist. Calum weiß, welche Antwort Jamieson hören will. In diesem Fall stimmt es, und Jamieson glaubt ihm, legt aber nicht jedes Wort auf die Goldwaage.
»Wenn du Interesse hast, hab ich vielleicht einen Auftrag für dich. Du weißt ja, dass wir einen Engpass haben.«
»Hab ich gehört. Könnte sein, dass ich Interesse hab. Kommt aber drauf an.«
»Worauf?« Jamieson hat die Stirn gerunzelt. Er mag keine Bedingungen. Vor allem mag er nicht, wenn ein so junger Kerl Forderungen stellt, während Leute wie Frank MacLeod das so gut wie nie tun.
»So wie ich arbeite, läuft es gut. Das ändere ich nicht.«
Jamieson nickt. Nicht überzogen. Passt auch zu seinen Vorstellungen. Bei so wichtigen Aufträgen will er nicht mehr nur auf einen einzigen Mann vertrauen. Frank war spitze, aber jetzt ist er am Ende, und es gibt keinen, der ihn ersetzen kann. Sie müssen jemanden von außen holen. Ab jetzt werden sie immer mindestens zwei Leute haben.
5
»Kennst du Lewis Winter?«
Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Jamieson geht davon aus, dass der Auftrag angenommen ist. Calum hat nicht gesagt, dass er ihn übernimmt, doch er hat eine Bedingung gestellt, und indem Jamieson sich dem Auftrag zuwendet, hat er sie akzeptiert. Über Geld wird nicht geredet. Beide wissen, um welche Größenordnung es geht. Jetzt geht es um die Einzelheiten des Auftrags. Calum ist an Bord. Jamieson und Young sind beide einverstanden. Jetzt werden sie ihn wie einen von ihnen behandeln, ein Mitglied ihrer Organisation. Vielleicht nur für diesen einen Auftrag. War schon mal so, als Frank ihn bei einer großen Sache als zweiten Mann fürs Grobe mitnahm. Man gehört einen Auftrag lang zur Familie. Dann ist man wieder draußen. Sie behalten einen im Auge und passen auf, dass man nichts
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