Der Unwillige Braeutigam
polierten Kristallgläser, in denen Wein und Champagner ausgeschenkt wurden.
Mehrere Sekunden lang konnte man außer der eingängigen Melodie des Walzers und dem Stimmengemurmel der dreihundert Gäste wenig hören. Über den kleinen Kreis, den sie auf der Rückseite des Raumes geformt hatten, legte sich eine Stille, die viel Geräusper und unruhiges Fingerklopfen sowie Scharren mit den Füßen nach sich zog. Elizabeth ertappte sich auch prompt dabei, wie sie angelegentlich den Spitzenbesatz an ihren blauen Seidenröcken glatt strich.
„Mein Freund hat mich im Stich gelassen, um die Natur draußen zu genießen.“ Lord Alex brach das Schweigen, deutete mit dem Kopf auf die graue Londoner Nacht auf der anderen Seite der Terrassentür. „Und plötzlich finde ich mich von vertrauensseligen Debütantinnen umringt.“
Elizabeth bemerkte, dass Charlotte sich versteifte. Die Freude wich aus ihren Augen. „Also benutzen Sie uns als Vorwand zur Flucht.“ Ihr Tonfall machte das zur Anklage, ihre geschürzten Lippen zu einem Tadel.
Lord Alex‘ Lächeln erstarb, und auf seiner Stirn erschien eine Falte, sichtlich von ihrem Vorwurf getroffen. Ehe er jedoch den Mund öffnen konnte, um zu fragen, worin sein Fehltritt eigentlich bestand, entschuldigte Elizabeth sich unter dem Vorwand, es sei heiß und sie habe Hunger und Durst, wovon irgendetwas gewiss stimmte. Sie hastete davon, ohne ein bestimmtes Ziel im Sinn, wusste nur, dass sie überflüssig war, wenn Charlotte und Lord Alex zusammenstanden.
Mr. Peter Finley war der nächste Name auf ihrer Tanzkarte, aber bevor sie für den nächsten Tanz zur Tanzfläche zurückkehrte, konnte sie etwas frische Luft gut gebrauchen. Nun, so sonderlich frisch würde die Luft nicht sein, schließlich befand sie sich in London. Aber sie würde sich damit begnügen müssen, bis sie wieder in die wesentlich sauberere Luft in Wilton zurückkehrte.
Mein Freund hat mich im Stich gelassen, um die Natur draußen zu genießen.
Diese Äußerung ließ ihr keine Ruhe … und lockte sie weiter, während sie aus dem Saal schlüpfte und auf die erleuchtete Terrasse trat. Was sie hier tat, war töricht, und es gab Anlass, Zweifel an der häufig gepriesenen Schärfe ihres Verstandes aufkommen zu lassen.
Aber, sagte sie sich, sie war eine der vielen Smiths in einer Stadt, die vor Smiths, Smyths und Smythes überquoll. Da ihre verwitwete Schwester in Dorchester lebte und ihre Eltern in Wilton waren, die Renovierungsarbeiten an ihrem neuen Landsitz beaufsichtigten, welchen Grund sollte der Viscount dann haben, sie mit ihnen in Verbindung zu bringen?
Keinen.
Was konnte also eine zufällige Begegnung auf einer Gesellschaft schaden, die Lord und Lady Windmere gaben?
Überhaupt keine.
Gänsehaut breitete sich in der kühlen Nachtluft auf ihren Oberarmen aus. Elizabeth erschauderte unwillkürlich, als sie die langgestreckte Terrasse betrachtete, die so verlassen, still und öde wie die Moore in Yorkshire dalag. Sie hatte eigentlich damit gerechnet, Lord Creswell zu sehen, breitbeinig dastehend, eine Zigarre im Mund, von deren glimmenden Ende eine schmale Rauchsäule aufstieg, um sich mit der ähnlich grauen Nachtluft zu vermischen, die die Stadt wie eine dunkle Wolke einhüllte.
Hinter einem sechsstufigen steinernen Springbrunnen, in dem Wasser aus dem Maul eines verspielten Delphins plätscherte, erstreckte sich ein Labyrinth aus Hecken, Geißblattbüschen und ordentlichen Reihen gelber Gänseblümchen und roter Rosen. Am Ende des Gartens stand im Schatten von drei hohen Ulmen eine weiß gestrichene Laube.
Der Duft der Geißblattbüsche kämpfte gegen die feucht-dumpfe Luft an und gewann heute mühelos. Elizabeth atmete das süßliche Aroma ein, während sie sich weiter in den Garten vorwagte.
Langsam schaute sie sich um und stellte sich auf die Zehenspitzen, in der Hoffnung, den Viscount hinter der ersten Hecke zu erspähen. Aber das Zirpen und Surren der Nachtinsekten verriet ihr, dass sie allein war.
„Wo kann er nur hingegangen sein?“, murmelte sie halblaut zu sich selbst. Enttäuscht sank sie wieder auf die Fersen.
„Haben Sie nach jemand bestimmten gesucht?“, erkundigte sich gedehnt eine tiefe Männerstimme hinter ihr.
Kapitel zwei
Elizabeth wirbelte so schnell herum, dass sie ihr Gleichgewicht verlor und kopfüber fiel – nun, um genau zu sein, brustüber – gegen eine Männerbrust, so fest und solide wie eine Mauer. Große Hände packten sie, hielten sie,
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