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Der Ursprung des Bösen

Der Ursprung des Bösen

Titel: Der Ursprung des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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in die Tasche seines Kittels. Gab es eigentlich einen Unterschied zwischen seinem Job und dem eines Gefängniswärters?
    Freire erreichte das Zimmer des Cowboys und klopfte vorsichtig. Niemand antwortete. Er drückte die Klinke und betrat das abgedunkelte Zimmer. Der Koloss lag unbeweglich auf seiner Pritsche. Der Stetson und die Stiefel waren neben dem Bett aufgereiht wie brave Haustiere.
    Leise trat Freire neben ihn, um ihn nicht zu erschrecken.
    »Ich heiße Mischell«, murmelte der Riese.
    Jetzt war es Freire, der erschrak.
    »Ich heiße Mischell«, wiederholte der Mann. »Ich habe ein oder zwei Stunden geschlafen, und das ist dabei herausgekommen.« Er wandte dem Psychiater den Kopf zu. »Nicht schlecht, oder?«
    Mathias öffnete seine Aktentasche und wühlte nach einem Stift und einem Heft. Langsam gewöhnten seine Augen sich an den Halbschatten.
    »Ist das dein Vorname?«
    »Nein, mein Nachname.«
    »Wie wird es geschrieben?«
    »M.I.S.C.H.E.L.L.«
    Freire schrieb es auf, ohne daran zu glauben. Die Erinnerung kam zu schnell. Zweifellos verzerrt oder einfach nur ausgedacht.
    »Ist dir im Schlaf vielleicht noch etwas eingefallen?«
    »Nein.«
    »Hast du geträumt?«
    »Ich glaube schon.«
    »Wovon?«
    »Immer das Gleiche, Doc. Das weiße Dorf. Die Explosion. Mein Schatten, der an der Mauer klebte …«
    Er sprach mit schläfriger, belegter Stimme. Mathias schrieb mit. Traumbücher konsultieren. Legenden über Schatten überprüfen . Er wusste längst, womit er sich an diesem Abend beschäftigen würde. Als er den Kopf von seinen Aufzeichnungen hob, atmete der Mann ganz regelmäßig. Er war wieder eingeschlafen. Freire zog sich leise zurück. Immerhin ein ermutigendes Anzeichen. Die Hypnose morgen würde vielleicht einen gewissen Erfolg bringen.
    Er verließ den Pavillon. Die Deckenbeleuchtung war ausgeschaltet worden – Schlafenszeit für die Patienten.
    Draußen verhüllte der Nebel Palmen und Laternen im Hof wie mit großen Segeln eines Geisterschiffs. Freire musste an Christo denken, der den Pont-Neuf und den Berliner Reichstag verpackt hatte. Ihm kam eine merkwürdige Idee. Wenn es nun der nebelhafte Geist des Mannes ohne Gedächtnis war, der die Klinik und die ganze Stadt einhüllte? Bordeaux befand sich vielleicht unter der Dunstglocke dieses Reisenden im Nebel …
    Auf dem Weg zum Parkplatz änderte Freire seine Absichten.
    Er hatte weder Hunger noch die geringste Lust, nach Hause zu fahren.
    Eigentlich konnte er ebenso gut jetzt gleich die ersten Informationen überprüfen.

E r kehrte in sein Büro zurück, setzte sich noch im Mantel vor seinen PC und rief die landesweite Zentralmeldestelle für verschreibungspflichtige Medikamente auf.
    Der Name Mischell war nicht zu finden.
    Freire benutzte dieses Programm so gut wie nie, daher wusste er nicht, ob die Meldestelle möglicherweise einem strengen Datenschutz unterlag.
    Angesichts dieses Fehlschlags bekam er erst recht Lust weiterzuforschen. Der Mann mit dem Engländer hatte keine Papiere bei sich gehabt, als er auf dem Bahngelände aufgegriffen worden war. Seine Kleidung war abgetragen. Außerdem wies er Merkmale eines Lebens im Freien auf: Seine Haut war gebräunt, die Hände von der Sonne verbrannt.
    Mathias griff zum Telefon und rief die örtliche Obdachlosenhilfe an, die rund um die Uhr besetzt war. Kein Mischell bekannt. Auch bei dem Rehabilitationszentrum und dem Sozialdienst, die beide über eine nächtliche Rufbereitschaft verfügten, wurde er nicht fündig. In keinem der Archive gab es einen Mischell.
    Eine Suche in den Online-Telefonbüchern ergab das gleiche Resultat. Weder in der Region Aquitaine noch im benachbarten Midi-Pyrénées fand er den Namen Mischell. Doch das verwunderte ihn nicht. Er hatte bereits vermutet, dass der Mann, ohne sich dessen bewusst zu sein, seinen Namen verballhornte. Das kurze Aufblitzen von Erinnerungen konnte in diesem frühen Stadium noch nicht anders als unvollkommen sein.
    Da kam Mathias eine neue Idee. Laut Polizeibericht stammte das Telefonbuch, das der Mann bei sich gehabt hatte, aus dem Jahr 1996.
    Nach langem Suchen im Internet fand er ein Programm, das die Einsicht in alte Telefonbücher ermöglichte. Er wählte das Jahr 1996 und fahndete nach dem Namen Mischell. Doch alle Mühe war vergebens. In keinem der fünf Departements der Region Aquitaine tauchte der Name auf. Kam der Cowboy etwa von weiter her?
    Freire rief Google auf und tippte einfach den Namen »Mischell« ein. Doch auch hier erhielt er nur

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