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Der Ursprung des Bösen

Der Ursprung des Bösen

Titel: Der Ursprung des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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dauern, die Landung ebenso. Es knirschte, knackte, riss …
    Als er sicher war, zwischen den Zweigen zu hängen, befreite er seine Arme und fuhr sich mit den Händen über Gesicht und Körper. Kein Blut. Keine gebrochenen Knochen. Nirgends Schmerzen. Er hatte Glück gehabt.
    Er schüttelte sich und hangelte sich durch das Dickicht der Zweige. Nach einem mühsamen Abstieg erreichte er schließlich den festen Boden, richtete sich auf und schlängelte sich aus dem Gebüsch, wo er als Erstes das Jackett auszog und sich um die Taille knotete.
    Jetzt musste er nur noch rennen. Mit der Anzughose unter dem Arm lief er los. Zweige peitschten ihm ins Gesicht, Baumstämme versperrten ihm den Weg, Steine rollten unter seinen Füßen. Er war sehr schnell, denn es ging bergab. Zwar versuchte er, langsamer zu werden, aber immer wieder prallte er gegen Hindernisse. Erschöpft und benommen klammerte er sich an eine einzige Hoffnung: Irgendwo würde er auf eine Straße stoßen, der er folgen konnte. Vielleicht würde er per Anhalter fahren. Auf jeden Fall würde er ein Dorf finden. Ganz gleich, wie – er würde es schaffen.
    Nur eine Frage loderte in seiner Angst immer wieder auf: Wie war es den Mördern gelungen, ihn zu finden? Was genau wussten sie über ihn?

D er blinkende Punkt war gegen 21.00 Uhr irgendwo in den Bergen oberhalb des Dörfchens Carros stehen geblieben und hatte sich bis etwa 2.00 Uhr nicht von der Stelle bewegt. Als Anaïs den Stadtrand von Nizza erreichte, bewegte sich das Signal erneut. Die Mörder fuhren weiter. Zunächst fühlte Anaïs sich versucht, ihrer Spur auf der Autobahn zu folgen, doch dann beschloss sie, zuerst den Ort zu suchen, wo sie einen Teil der Nacht verbracht hatten. Sie befürchtete, dass sie Freire gefunden, gefoltert und getötet hatten. Oder verstümmelt.
    Gegen 3.00 Uhr erreichte sie die Stelle, wo das Signal angehalten hatte. Es war eine Einrichtung für geistig Behinderte mit dem Namen Villa Corto. Vorsichtig fuhr sie den unbefestigten Weg entlang, als sie plötzlich im Scheinwerferlicht etwas sah, das sie zunächst für einen bad trip hielt. Am Rand des Weges saß ein Clown mit weiß geschminktem Gesicht und weinte, während ein Stück weiter, oberhalb der Pinien, ein Mann durch die Luft ging. Er befand sich mindestens zwei Meter über dem Boden. Auf der Schwelle des ersten Gebäudes der Anstalt stand ein von den Haarspitzen bis zu den Schuhsohlen schwarz angemalter Riese.
    Mit der Hand an der Waffe stieg Anaïs aus. Schnell erkannte sie, dass sie keine Halluzinationen hatte. Alles war wahr.
    Der Clown kam näher. Er wischte sich die Augen. Die Tränen hatten tiefe Spuren in seiner Schminke hinterlassen und verliehen ihm das Aussehen eines entstellten dummen Augusts. Auch den Mann in der Luft gab es wirklich. Der Schlüssel dazu war ganz einfach: Er bewegte sich auf Stelzen und redete mit den Baumwipfeln, als hätte er endgültig den festen Boden unter seinen Füßen verlassen und das Geheimnis der Vögel ergründet.
    Anaïs wendete sich dem Hauptgebäude zu, das hell erleuchtet war. Beinahe wäre sie über eine übertrieben geschminkte, alte Frau gestolpert, die auf dem Boden saß. Sie hatte ein Feuer angezündet und kochte Nudeln. Während sie sie mit einem langen Kochlöffel kostete, stöhnte sie auf.
    Anaïs begrüßte sie mit einem Kopfnicken und fragte, was geschehen sei, doch alles, was sie zur Antwort bekam, war:
    »Ich habe Probleme mit dem Zoll. Wegen meiner Bilder …«
    Sie fragte nicht weiter, sondern betrat einen Raum, der sich als Kantine entpuppte. Auch hier herrschte der Karneval. Ein Pierrot mit schwarz umränderten Augen sprang knurrend auf einen Tisch. Ein anderer trug einen mit Engelshaar verzierten Feenhut, biss sich ständig in seine unter dem Pulloverärmel versteckte Faust und speichelte. Wiederum ein anderer, der einen Strohhut auf dem Kopf hatte, saß im Schneidersitz auf einem Tisch und spielte Flöte – eine sanfte, melancholische Weise mit japanischem Einschlag. Anaïs bemerkte, dass er sich vollgepinkelt hatte.
    Was war hier los?
    Und wo waren die Verantwortlichen?
    Sie ging die Treppe hinauf in die erste Etage und erreichte einen kargen Flur mit Holztüren. Das Ganze erinnerte sie in seiner Kälte und Nacktheit an eine Leichenhalle. Was zunächst nur ein Gefühl gewesen war, wurde allzu schnell zur Gewissheit: Im zweiten Raum rechts lagen drei Leichen. Zwei eher stämmige Männer waren mit einer großkalibrigen Waffe erschossen worden, ein dritter lag

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