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Der Ursprung des Bösen

Der Ursprung des Bösen

Titel: Der Ursprung des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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entkommen, hatte die Taschen voller Geld und verfügte in Paris über eine unverhoffte Bewegungsfreiheit.
    Von der Rezeption ließ er Rasierzeug kommen und brachte sein Äußeres endlich wieder in einen menschenwürdigen Zustand. Nachdem er zwei Stunden geschlafen hatte, ließ er sich mit einem Taxi in die Rue François-I zu einer schicken Herrenboutique fahren. Er kaufte einen dunklen, nüchternen Anzug aus reiner Schurwolle und ein himmelblaues Hemd, das er ohne Krawatte trug, sowie Mokassins aus schwarzem Wildleder. Endlich sah Narcisse wieder wie ein Mensch aus. In der Umkleidekabine, wo er sich vor neugierigen Blicken geschützt fühlte, hatte er das Heftchen mit den Farbangaben und den Handschellenschlüssel, den er dem Sicherheitsmann in Marseille abgenommen und als Glücksbringer behalten hatte, in die Tasche seines neuen Anzugs gesteckt. Er hatte auch zwei Gürtel erstanden: den einen, um seine Hose und die Pistole zu halten, den anderen, um ihn um seine rechte Wade zu schlingen und damit das Eickhorn zu befestigen. Wie ein Messer für die Unterwasserjagd.
    »Narcisse? Sie sind es doch, oder?«
    Der Mann in Grau – zweifellos der Galerist – stand jetzt vor ihm. Sein Gesichtsausdruck hatte sich verändert.
    »Ja, ich bin es. Kennen wir uns?«
    »Ich kenne Ihre Selbstporträts. Corto hat mir erzählt, dass Sie verschwunden sind.«
    »Das war nur vorübergehend.«
    Dem Galeristen schien nicht wohl in seiner Haut zu sein. Halbherzig hielt er Narcisse die Hand hin.
    »Ich bin Philippe Pernathy. Mir gehört die Galerie. Ihre Ausstellung war ein unglaublicher Erfolg.«
    »Das habe ich auch gehört.«
    »Malen Sie immer noch?«
    »Nein.«
    »Was wollen Sie dann hier?«
    Mit jeder Sekunde wuchs Narcisses Überzeugung, dass Pernathy über sein Erscheinen nicht gerade erfreut war. Aber warum ?
    »Ich möchte meine Bilder sehen.«
    Der Galerist reagierte sichtlich erleichtert. Er nahm Narcisses Arm und zog ihn hinter sich her in sein Büro am Ende der Ausstellungsräume.
    »Kein Problem. Ich habe hier Fotos von allen …«
    »Nein. Ich will die Originale sehen.«
    »Unmöglich. Ich habe alle Gemälde verkauft.«
    »Ich weiß. Deshalb brauche ich die Liste und Adressdaten aller Käufer.«
    »Das geht nicht. Diese Dinge sind streng vertraulich.«
    Endlich begriff Narcisse. Der Gauner hatte die Gemälde vermutlich sehr viel teurer verkauft, als er Corto gegenüber zugeben wollte. Natürlich wäre es ihm unangenehm, wenn der Künstler mit den Kunden in Kontakt käme.
    »Ihre Verkaufspreise interessieren mich nicht«, erklärte er. »Ich muss sie sehen, sonst nichts.«
    »Nein. Es ist … Es ist unmöglich.«
    Narcisse griff nach dem Revers seines Jacketts.
    »Sie wissen, wer ich bin, nicht wahr? Bei uns Verrückten passiert schnell einmal ein Missgeschick.«
    »Aber ich kann Ihnen die Liste nicht geben«, stotterte der Galerist. »Meine Kunden sind einflussreiche Leute, die auf meine Diskretion vertrauen und …«
    Er brach ab. Narcisse hatte seine Glock aus dem Gürtel gezogen und hielt sie dem Mann unter die Kinnlade.
    »Die Liste«, zischte er zwischen den Zähnen. »Nicht, dass uns ein verirrter Windstoß noch beide hier wegweht!«
    Pernathy schien plötzlich zu schrumpfen, als ob seine Wirbelsäule nachgegeben hätte. Zitternd und hochrot im Gesicht ging er um den Schreibtisch herum und griff nach der Maus. Er klickte ein paarmal. Narcisse konnte die Liste sehen, die sich in seiner Brille spiegelte. Mit zitternden Händen schaltete der Galerist den Drucker ein.
    »Trinken Sie einen Schluck«, riet Narcisse ihm freundlich. »Dann geht es besser.«
    Gehorsam öffnete der Galerist einen kleinen Kühlschrank, der hinter einem Trinkbrunnen in einer Ecke des Büros stand, und nahm eine Dose Cola Zero heraus.
    »Haben Sie vielleicht auch eine für mich?«
    Surrealistisch anmutende Sekunden verrannen. Immer noch zielte Narcisse auf den Galeristen. Schweigend tranken sie ihre Cola, während der Drucker schnurrte. An der rechten Wand entdeckte Narcisse eine große Schwarz-Weiß-Aufnahme, die einen kahlköpfigen Mann mit stechendem Blick zeigte. Er trug eine Hose mit Hosenträgern und hielt eine Papiertrompete in der Hand.
    »Wer ist das?«
    »Adolf Wölfli. Ich habe eine Retrospektive organisiert. Er ist einer der begabtesten Vertreter der Art Brut überhaupt.«
    Narcisse fixierte die glühenden Augen.
    »War er verrückt?«
    Pernathy antwortete so hastig, dass er alle Satzzeichen wegzulassen schien.
    »Das kann man wohl

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