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Der Ursprung des Bösen

Der Ursprung des Bösen

Titel: Der Ursprung des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Mittfünfziger.
    »Innen bot sich das gleiche Bild«, fuhr er fort. »Die Leber stand kurz vor der Zirrhose. Schlimm für einen so jungen Kerl.«
    »Meinst du, er war auch Alkoholiker?«
    »Ich glaube eher, dass er sich eine Hepatitis C eingefangen hatte. Aber das werden wir anhand der Analysen noch feststellen. Und mit Sicherheit finden wir noch weitere chronische Krankheiten. So, wie es aussieht, wäre der Junge nicht älter als vierzig geworden.«
    Anaïs zog bereits Rückschlüsse auf den Mörder. Einer, der Penner umbringt . Ein Killer mit Hang zu Ritualen, der es auf den Abschaum der Gesellschaft abgesehen hat. Sie spürte, wie es in ihren Gliedern kribbelte. Sie war zu voreilig. Nichts wies darauf hin, dass es sich um einen Wiederholungstäter handelte. Trotzdem war sie sich fast sicher: Falls der Minotaurus sein erstes Opfer war, dann blieb er sicher nicht das letzte.
    »Gibt es Hinweise auf ein Sexualverbrechen? Wurde der Junge vergewaltigt?«
    »Nichts. Weder Spermaspuren noch Analverletzungen.«
    »Was kann man über seine letzten Lebensstunden vor dem Mord sagen?«
    »Er hat gegessen, und zwar Krabbensurimi und Frühlingsrollen mit Hähnchenfleisch. Auch ein paar Hamburgerreste waren im Magen. Im Prinzip alles durcheinander. Vermutlich ernährte er sich von Abfällen. Eins ist aber sicher: Seine letzte Mahlzeit hat er gebührend begossen. Er hatte 2,4 Promille im Blut. Vor seinem goldenen Schuss war er sturzbesoffen.«
    Anaïs versuchte sich eine Mahlzeit zu zweit vorzustellen. Mörder und Opfer schlugen sich den Bauch voll und tranken jede Menge Bier, ehe sie zu den ernsteren Dingen übergingen – zur Injektion des Heroins. Nein . Sie probierte eine andere Variante. Der Mörder hatte den jungen Mann nach seinem Festmahl getroffen und ihn überzeugt, sich »mit dem besten Heroin der Welt einen absolut geilen Schuss zu setzen« …
    »Kannst du mir etwas über den Mörder sagen?«, fragte sie.
    »Nicht viel. Er hat dem Jungen keine offensichtliche Verletzung zugefügt, sondern ihm nur diesen Riesenschädel auf den Kopf gedrückt. Meines Erachtens ein ganz eiskalter Killer, der sehr methodisch vorgeht. Er widmet sich seinem Wahn mit unerbittlicher Konsequenz.«
    »Wie kommst du auf ›methodisch‹?«
    »Mir ist da eine Kleinigkeit aufgefallen. Der Junge hatte winzige Löcher auf den Nasenflügeln, in den Mundwinkeln, über dem rechten Schlüsselbein und auf beiden Seiten des Nabels.«
    »Und was war das?«
    »Die Stellen, an denen er gepierct war. Der Mörder hat die Piercings entfernt. Ich habe keine Ahnung, was das zu bedeuten hat, aber der Killer wollte offenbar kein Metall an seinem Opfer sehen. Noch einmal: Ich halte ihn für einen Psychopathen. Eiskalt wie eine Hundeschnauze.«
    »Kannst du dir vorstellen, wie er vorgegangen ist?«
    »Du kennst doch die Vorschriften. Der Gerichtsmediziner darf keine Hypothese aufstellen.«
    Anaïs seufzte. Sie wusste genau, dass Longo darauf brannte, ihr seine Folgerungen mitzuteilen.
    »Vor mir brauchst du nicht die Diva zu geben.«
    Der Arzt atmete tief durch.
    »Also, meiner Meinung nach hat sich die Sache vorgestern so abgespielt. Gegen Abend hat der Mörder sich seinem Opfer genähert. Entweder hatte er sich den Jungen schon vorher ausgesucht, oder er ist ihm erst zu diesem Zeitpunkt aufgefallen – in einer Kneipe, einem besetzten Haus oder einfach auf der Straße. Jedenfalls wusste er, dass sein Opfer ein Junkie war. Wahrscheinlich hat er ihm einen total abgefahrenen Schuss versprochen, ihn an einen ruhigen Ort geführt und die tödliche Dosis vorbereitet. Kurz davor oder unmittelbar danach hat er ihm Blut abgenommen. Wenn ich genau darüber nachdenke, muss es eigentlich vorher gewesen sein, wenn er nicht gerade scharf auf drogengesättigtes Hämoglobin war. Aber wir wissen ja nicht, was er damit anfangen wollte …«
    In Gedanken fügte Anaïs noch einen weiteren Umstand hinzu. Das Opfer musste seinen Mörder gekannt haben. Selbst bei Entzugserscheinungen lässt sich ein Abhängiger keinen Schuss von einem Fremden andrehen. Der Minotaurus hatte Vertrauen zu seinem Schlächter. Dealer überprüfen. Und die Kumpels, mit denen er in seinen letzten Lebenstagen zu tun hatte .
    Im Übrigen war Anaïs überzeugt, dass man dem Jungen den Stoff geschenkt hatte. Das Opfer verfügte nicht über die Mittel, sich Heroin im Marktwert von über hunderfünfzig Euro pro Gramm zu leisten.
    »Vielen Dank, Michel. Wann bekomme ich deinen Bericht?«
    »Morgen Vormittag.«
    »Wie

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