Der Ursprung des Bösen
mit dem Gerichtsmediziner. Der goldene Schuss. Die außergewöhnliche Reinheit des Stoffs. Die Vermutung, dass es sich bei dem Opfer um einen Obdachlosen handelte. Die Fakten begrenzten die Bandbreite der Spurensuche.
»Jaffar, du kümmerst dich um die Penner. Wir kennen doch die entsprechenden Viertel, oder?«
»Da gibt es einige.«
»Nach seinem Alter und Aussehen zu schließen gehörte unser Klient eher zu einer Randgruppe. Ein durchgeknallter Partytyp, der wahrscheinlich auf allen möglichen Raves und Musikfestivals zu finden war.«
»Gut, dann konzentrieren wir uns auf den Cours Victor Hugo, die Rue Sainte-Catherine, die Place du Général Sarrail, die Place Gambetta und die Place Saint-Projet.«
»Nicht zu vergessen der Bahnhof. Der ist am wichtigsten.«
Jaffar nickte.
»Wenn du überall gewesen bist, gehst du zu den Kirchen, an die Geldautomaten und in die besetzten Häuser und zeigst das Bild allen Bettlern, Punks und Pennern, deren du habhaft werden kannst. Statte auch den Obdachlosenasylen, Krankenhäusern und der Fürsorge einen Besuch ab. Allen, die sich um solche Leute kümmern.«
Jaffar kratzte sich den Bart und betrachtete das zerstörte Gesicht auf dem Foto. Er war vierzig Jahre alt und selbst nicht allzu weit vom Status eines Obdachlosen entfernt. Nach seiner Scheidung hatte er sich hartnäckig geweigert, seiner Frau Unterhalt zu zahlen. Seither war ihm ein Familienrichter auf den Fersen, und er floh von einer winzigen Absteige in die nächste. Er trank, er prügelte sich und verwettete sein Geld beim Pferderennen und beim Poker. Man munkelte sogar, dass er sich gegen Monatsende von einem Mädchen aushalten ließ, das für ihn in der Rue des Étables auf den Strich ging. Er war nicht gerade der beste Umgang, aber unersetzlich, wenn es darum ging, die sozialen Abgründe der Stadt zu durchforsten.
»Du«, sagte Anaïs zu Le Coz, »kümmerst dich um die Dealer.«
»Und wo finde ich die?«
»Frag Zak. Wenn weißes Heroin auf dem Markt ist, dürfte das nicht unbemerkt geblieben sein.«
»Ist Heroin nicht immer weiß?«
Le Coz, in allen Verfahrensfragen unschlagbar, hatte wenig Ahnung auf diesem Gebiet.
»Heroin ist niemals weiß, sondern eher bräunlich. Junkies kaufen ihren Hongkong Rocker als Pulver oder gepresst. Das Zeug enthält etwa zehn bis dreißig Prozent Heroin. Der Stoff, mit dem unser Klient umgebracht wurde, hat einen Reinheitsgrad von achtzig Prozent – also nicht gerade Allerweltsdope.«
Le Coz schrieb sich alles auf wie ein folgsamer Schüler.
»Du solltest die Gendarmerie anrufen. Die haben alle möglichen Akten darüber und verfügen über Namen und Adressen.«
»Das könnte ins Auge gehen.«
»Nein, die Zuständigkeitsstreitigkeiten innerhalb der Polizei sind beigelegt. Wenn du ihnen erklärst, worum es geht, werden sie dir helfen. Wende dich auch ans Gefängnis und überprüfe die Typen, die wegen Rauschgiftvergehen einsitzen.«
»Ja, aber wenn sie doch schon im Gefängnis sind …«
»Die wissen Bescheid, glaub mir. Und zeige immer das Foto.«
Le Coz notierte alles mit seinem funkelnden Montblanc-Füller. Er hatte eine hübsch gebräunte Haut, die gebogenen Wimpern einer Frau, einen sehr schlanken Hals und gegeltes Haar. Als Anaïs ihn so betrachtete, schick gestylt wie ein Stummfilmstar, überlegte sie, ob es eine gute Idee war, ihn ins offene Messer laufen zu lassen.
»Wende dich auch an die Apotheken«, schlug sie vor. »Junkies sind ihre beste Kundschaft.«
»Heute ist Sonntag.«
»Dann fang mit den Bereitschaftsdiensten an. Die Adressen der anderen findest du dort.«
Anaïs wandte sich an Conante. Seine Augen waren gerötet, weil er die Nacht damit verbracht hatte, die Überwachungsvideos aus dem Bahnhof zu überprüfen.
»Hast du irgendetwas feststellen können?«
»Absolut nichts. Außerdem befindet sich die Reparaturgrube in einem toten Winkel.«
»Und der Parkplatz?«
»Auch nichts Auffälliges. Ich habe zwei Praktikanten aus dem Bett geholt, um die Kennzeichen zu überprüfen und die Autobesitzer vorzuladen, die in den letzten achtundvierzig Stunden dort geparkt haben.«
»Was ist mit den Befragungen der Anwohner? Dem Bahnpersonal? Und den Pennern, die in den verlassenen Häusern der Umgebung schlafen?«
»Wir bleiben am Ball. Die Schutzpolizei hilft uns. Aber bisher haben wir noch keine Ergebnisse.«
Natürlich erwartete Anaïs keine Wunder.
»Geh noch einmal hin und nimm das Foto mit. Zeig es den Leuten vom Sicherheitsdienst, der
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