Der Ursprung des Bösen
größerer Wucht wiederzukehren.
»Es geht um Geld. Nichts Weltbewegendes. Patrick hat einen Kredit für das Boot aufgenommen, weil er sein eigener Chef sein wollte. Aber die Saison war nicht sehr gut.«
»Gibt es nicht im Lauf eines Jahres mehrere Saisons?«
»Ich meine die wichtigste, die im Oktober, die Zeit für den weißen Thunfisch. Wir hatten gerade genug zum Leben und um die Kollegen auszuzahlen. Und da hat die Bank …«
»Wie haben Sie es geschafft, das Boot zu kaufen? Brauchten Sie kein Eigenkapital?«
»Das kam von mir.«
Verblüfft sah Freire sie an. Sylvie schmunzelte.
»Ich sehe vielleicht nicht so aus, aber ich habe ein bisschen Geld. Na ja, ich hatte. Es war ein Häuschen in Bidart, das wir verkauft haben, um den Erlös in den Kahn zu stecken. Und seither geht alles schief. Wir haben Schulden bei den Lieferanten, und bei der Bank sind Wechsel fällig. Sie haben keine Ahnung, wie das ist …«
Sylvie schien zu glauben, dass Mathias nur so im Geld schwamm. Doch darüber regte er sich nicht weiter auf, sondern gab sich seinen Eindrücken hin. Die vom Meer kommenden Windböen brachten Gischt und silberne Sonnenstrahlen mit. Er schmeckte das Salz auf seinen Lippen und blinzelte ins quecksilbrige Licht.
Die kleine Frau wandte den Kopf und sah zu Patrick hinüber. Der Cowboy war in sein Boot geklettert und werkelte im Laderaum herum. Vermutlich kümmerte er sich um den Motor. Die Frau betrachtete ihn wie eine Mutter ihr Kind.
»Hat er Ihnen von seinem früheren Leben erzählt?«
»Von seiner Frau? Nicht viel, aber er hat nie ein Geheimnis daraus gemacht.«
»Hat er noch Kontakt zu ihr?«
»Nein. Sie haben sich nicht sehr friedlich getrennt.«
»Warum ist er dann nicht geschieden?«
»Wovon hätte er eine Scheidung bezahlen sollen?«
Freire hakte nicht weiter nach. Auf diesem Gebiet kannte er sich nicht aus. Ehe, Verpflichtungen und Scheidung waren Fremdworte in seinem Leben.
»Hat er manchmal von seiner Kindheit gesprochen?«
»Dann wissen Sie es also nicht?«, gab sie mit einem verächtlichen Unterton zurück.
»Was meinen Sie?«
»Er hat seinen Vater auf dem Gewissen.«
Mathias schluckte.
»Sein Vater war Schrotthändler«, fuhr sie fort. »Patrick half ihm.«
»In Gheren?«
»In dem Kaff, wo er mit seinen Eltern lebte.«
»Und wie ist es passiert?«
»Sie haben sich geschlagen. Der Vater trank und prügelte. Bei der Schlägerei stolperte er und fiel in das Säurebecken, in dem das Altmetall abgebeizt wurde. Patrick, der damals fünfzehn war, holte ihn wieder heraus, aber da lebte der Vater schon nicht mehr. Meiner Meinung nach war es ein Unfall.«
»Wurde die Polizei eingeschaltet?«
»Keine Ahnung. Jedenfalls war Patrick nie im Gefängnis.«
Das würde sich leicht überprüfen lassen. Jedenfalls fand Mathias seine Vermutungen bestätigt. Der Riese hatte tatsächlich eine schwere Kindheit gehabt, und das familiäre Drama schien durchaus dazu angetan, einen Bruch in seinem Bewusstsein zu bewirken. Zunächst war es vielleicht nur ein leichter Riss gewesen, der sich nach und nach so erweitert hatte, dass Patricks ganze Persönlichkeit darin verschwand.
»Wissen Sie, was er anschließend gemacht hat? Ist er bei seiner Familie geblieben?«
»Er ging zur Legion.«
»Zu Fremdenlegion?«
»Er fühlte sich für den Tod seines Vaters verantwortlich und hat gehandelt, als hätte er ein Verbrechen begangen.«
Inzwischen waren sie am Ende des Stegs angekommen. Ohne sich abgesprochen zu haben, drehten sie um und schlenderten langsam zum Hafen zurück. Immer wieder blickte Sylvie zu Patrick hinüber, der sich an Bord seinen Bootes zu schaffen machte. Er schien die beiden vollkommen vergessen zu haben.
»Hat Patrick sonst schon einmal Ärger mit der Justiz gehabt?«, nahm der Psychiater das Gespräch wieder auf.
»Was soll diese Frage? Glauben Sie, bloß weil wir arm sind, sind wir gleich auch Gauner? Patrick hat schwierige Zeiten durchgemacht, aber er ist immer auf dem rechten Weg geblieben.«
Freire fragte nicht weiter. Er würde die erfundenen Fakten Pascal Mischells mit dem wahren Leben von Patrick Bonfils vergleichen.
»Fahren Sie manchmal nach Arcachon?«
»Nein, nie.«
»Sagt Ihnen der Name Thibaudier etwas?«
»Nein.«
»Und Hélène Auffert?«
»Wer soll das sein?«
Freire lächelte ihr beruhigend zu. Nicht dass sie etwa dachte, von dieser Seite her drohe irgendeine Gefahr. Sylvie griff erneut nach Tabak und Blättchen. Ganz überzeugt schien sie nicht zu sein.
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