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Der Ursprung des Bösen

Der Ursprung des Bösen

Titel: Der Ursprung des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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an der sich touristische Badeorte drängten. Zwar drückten die Gebäude weder Tradition noch Harmonie aus, trotzdem schien über dem Ganzen der Zauber des Baskenlandes zu liegen. Kiefern, Stechginster und Tamarisken wuchsen bis an die Haustüren, und die lichtdurchflutete salzige Seeluft verlieh allem eine leuchtende Klarheit.
    Mathias lächelte unwillkürlich und fragte sich, warum er sich nicht in dieser Gegend niedergelassen hatte. Plötzlich wurde die Straße so schmal, dass sie nur von einem einzigen Fahrzeug passiert werden konnte, und führte sie auf einen kleinen, schattigen Dorfplatz. Sie waren in Guéthary angekommen. Die dicht an dicht stehenden Fachwerkhäuser schienen über den Caféterrassen die Köpfe zusammenzustecken. Am Ende des Dorfes erhob sich die Mauer eines Pelota-Spielfeldes wie ein Willkommensgruß.
    »Immer geradeaus.« Bonfils’ Stimme klang aufgeregt. »Gleich sind wir am Hafen.«

M athias Freire hatte sich immer für ziemlich hartgesotten gehalten, doch die Wiedersehensfreude von Patrick und Sylvie rührte ihn fast zu Tränen. Es hatte nicht nur mit ihrem Alter zu tun, sondern auch mit ihrer immer noch spürbaren Liebe, die sich sehr zurückhaltend nur in Augenkontakten, gemurmelten Worten und zögernden Gesten ausdrückte. Aber gerade dadurch wirkte sie viel ehrlicher und tiefer als große Gefühlsausbrüche.
    Ein Grund für seine Rührung war gewiss auch das äußere Erscheinungsbild des Paares. Man sah den beiden an, dass sie es im Leben nicht leicht gehabt hatten. Sylvie war eine kleine Frau mit einem rötlichen, von Falten und Narben durchzogenen Gesicht. Ihre geröteten, aufgedunsenen Züge verrieten die Alkoholikerin. Wie Patrick hatte auch sie vermutlich viele Jahre auf der Straße gelebt. Und doch hatten sie sich nach all ihrem Elend gefunden.
    Die Umgebung trug ihren Teil zum poetischen Realismus der Szene bei. Der Hafen von Guéthary bestand lediglich aus einer schrägen Betonmole, an der ein paar bunt gestrichene Boote lagen. Der Himmel hatte sich wieder bezogen, doch die Sonne lugte noch hier und da durch die Wolken und spendete ein glasiges Licht. Das Wiedersehen von Sylvie und Patrick schien sich auf dem Grund einer Glasflasche abzuspielen – einer jener Flaschen, die ein Buddelschiff beherbergen.
    »Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll«, sagte Sylvie und wandte sich zu Mathias um.
    Freire deutete schweigend eine Verbeugung an.
    Sylvie wies auf einen Holzsteg, der sich oberhalb der Wellen an den Felsen schmiegte.
    »Kommen Sie. Gehen wir ein Stück.«
    Freire beobachtete sie genau. Ihr Haar war fettig, und sie trug einen unförmigen Pullover, eine ausgeleierte Jogginghose und uralte Turnschuhe. In ihrem abgewrackten Äußeren hatten nur die Augen überlebt. Sie glänzten lebhaft wie zwei helle, regenfeuchte Kieselsteine.
    Die Frau ging um die Boote herum und schlug den Weg zum Holzsteg ein. Patrick wandte sich einem Boot zu, das an der Mole dümpelte. Das also war der Fischerkahn, dem er den ganzen Ärger zu verdanken hatte. Auf dem Rumpf stand stolz und knallgelb der Name JUPITER.
    Freire folgte Sylvie. Er musste sich am schwankenden Geländer des Stegs festhalten. Ohne auf die Gischt und den unebenen Steg zu achten, rollte sie sich eine Zigarette.
    »Können Sie mir erklären, was genau passiert ist?«
    Freire berichtete vom Bahnhof Saint-Jean, von Patricks innerer Flucht, seinen unbewussten Versuchen, jemand anders zu werden, und von der zufälligen Begegnung mit der Krankenschwester, die aus Guéthary stammte. Das Blut auf dem Telefonbuch und dem Engländer verschwieg er ebenso wie den Leichenfund am Bahnhof Saint-Jean. Anaïs Chatelet würde sicher bald hier aufkreuzen.
    Sylvie hörte schweigend zu. Mit einem großen, rostigen Feuerzeug zündete sie ihre Zigarette an.
    »Kaum zu glauben«, sagte sie schließlich mit rauer Stimme.
    »Haben Sie in den Tagen vor seinem Verschwinden irgendetwas Seltsames an ihm bemerkt?«
    Sie zuckte die Schultern. Der Wind wehte Strähnen ihres ungepflegten Haars über das verbrauchte Gesicht. Sie inhalierte gierig und atmete große Rauchwolken aus, die der Seewind sofort mit sich fortriss.
    »Patrick redet nie sehr viel.«
    »Hatte er vielleicht manchmal Bewusstseinslücken? Oder konnte sich an nichts mehr erinnern?«
    »Nein.«
    »Erzählen Sie mir von seinen Sorgen.«
    Schweigend ging sie ein paar Schritte weiter. Das Meer brauste und donnerte unter ihren Füßen. Die Wellen zogen sich nur kurz zurück, um mit noch

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