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Der Utofant

Der Utofant

Titel: Der Utofant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna und Günter Braun
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sitzen, im Raumknast sozusagen, sprach ich, wir sind zwar freiwillig hier drin, ich habe hartnäckig um meinen Listenplatz gerungen, und nun ist es viel schlimmer, als ich dachte. Na, immerhin, wenn die Behandlung hilft, will ich die knastige Atmosphäre gern in Kauf nehmen. Ach, sagte er, Sie tragen auch das widerliche V. (Ich hatte es mir in Dr. Freunds Kabine angeeignet, wo mehrere Vs in einer offenen Schachtel lagen, und meinen Overall damit benäht.)
    Ja, ich bin auch Versager. Sirene Selenik mein Name. Sirene reicht schon, wir
könnten uns auch duzen. Leidensgefährten, die wir sind.
Sirene, sagte er, wie häßlich.
    Ich wollte sagen, die werden morgen mit dem Programm beginnen, doch fiel mir ein, daß ich das als Versagerin nicht wissen konnte. Ich sagte, wer weiß, was die noch mit uns machen werden. Er sagte, die machen nichts, die kurven mit uns rum, bis harte Sachen auf uns loskommen, damit wir uns bewähren. Wenn aber keine kommen? Es werden welche kommen.
    Aber wann? Wie lange wird das dauern? Und werden sie bei mir anschlagen? Ich sagte, du darfst dich gegen die Behandlung nicht sperren und nicht schon vorher ängstlich sein. Was du da an der Einstiegstür gemacht hast, an dieser Klappe, war unnötiger Energieverschleiß, du mußt dich schlappmachen. Ich muß mich bewähren, sagte er, das mit der Klappe war vielleicht schon eine Bewährungsprobe. Wie kann man wissen, was eine Bewährungsprobe ist. Vorher sagt keiner, paß auf, hier kommt ‘ne Stufe. Wenn du gestolpert bist, dann heißt es, Bewährungsprobe nicht bestanden. Das ist das Hinterhältige. Ich sagte, die meinen es hier gut mit uns.
    Emil Erasmus blickte mich argwöhnisch an. Die blaßgrauen, verschwommenen Pupillen schrumpften zu Punkten, graphitfarben, poliert. Ich assoziierte: Fliegenaugen, kurz vor dem Schlag mit der Klatsche.

    5

    Du darfst nicht zu sehr davon überzeugt sein, daß du ein schwerer Fall bist, sagte ich sanft zu K. du mußt dir einbilden, gar nicht krank zu sein, dann brauchst du auch nicht immerzu an die Bewährung zu denken, und wenn sie kommt, bewährst du dich höchst elegant, wie im Vorübergehen, das läuft dann voll natürlich, nicht so verkrampft. Bewährungskrampf bringt uns nicht weiter.
    Er sagte wehleidig, ich bin ein schwerer Fall, ich bin an Bord der schwerste, nicht so ein kleiner Bettnässer, so ein mittelmäßiger Weltuntergangsalarmknopffalscheinsteller, so ein Sexualfehlzünder. Er konnte sich nicht bremsen. Ja, solche Memmen sind unbeherrscht. Er mußte seine Leiden vor mir aufzählen, er litt nicht nur an einer einzigen Versagensart, es war ein ungeheures Bouquet verschiedener Versaglichkeiten, und er schien darauf auch noch stolz zu sein. Emil Erasmus K. erst einunddreißig Jahre alt, von Hemmungen, Phobien und Allergien zerrüttet. Er leide erstens an einer chronischen Gleichlaufangst, die sich so auswirke, daß er nicht in der Lage sei, zu ganz bestimmten, immer gleichen Zeiten von einem ganz bestimmten, immer gleichen Ort zu einem ganz bestimmten, immer gleichen anderen Ort zu gehen oder zu fahren und dort eine ganz bestimmte Zeit bei einer ganz bestimmten, ihm zugeteilten Arbeit zuzubringen, danach zu ganz bestimmter Zeit zu dem bestimmten, immer gleichen Ausgangsort zurückzukehren. Dies ginge ihm nicht nur bezüglich eines Arbeitsortes so, es träfe auch für Räume innerhalb der eigenen Wohnung zu, für Ferienorte, Freizeitpunkte, Versammlungen, Verwandtenwohnungen, Festveranstaltungen, Geburtstagsfeiern. So habe er den Geburtstag seiner Freundin nicht im Januar feiern können. Er wurde am betreffenden Termin vollkommen schlapp und konnte sich zu keiner Feiertätigkeit erheben, er hätte es jedoch großartig im August gekonnt. Ihm sei da so gewesen, erklärte er, daß er den Fakt, daß seine Freundin nicht nur geboren, sondern auch noch lebendig war, begießen müßte, auch gab es schönere Blumen als im Januar, doch seine Freundin habe sein Verhalten so verbittert, daß sie ihm fortgelaufen sei; er habe auch nicht bei den regulären periodischen Wohnturmversammlungen erscheinen können, obwohl man ihn schon Wochen vorher einlud. Sobald die Stunde nahte, zu der man sein Erscheinen erwartete, verfiel er in totale Schlappheit, er hatte die abstruse Vorstellung, man müßte sich versammeln, wenn einem so zumute sei, wie man auch lieben müsse, wenn man den Drang verspüre, nicht, wenn die festgesetzte Zeit gekommen ist, Silvester, Weihnachten oder Rosenmontag, oder wenn das Televisionsprogramm

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