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Der Utofant

Der Utofant

Titel: Der Utofant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna und Günter Braun
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zu trinken, erhalten aber nicht mehr als üblich.
    Dr. Freund läßt sich bewegen, eine Flasche Wasser extra für alle zu genehmigen. Die Versager schlagen sich darum, nur K. hält sich zurück. Er zieht aber seinen grauen Schlotteranzug und schließlich shirt und slip aus, die ohnehin löchrig sind wie ein Sieb.
    Ich bin erstaunt über seinen schönen mageren, aber straffen Körper, Brust und Oberschenkel glänzen blaßblond behaart, einen Bauch kann ich nicht registrieren. Ich wage kaum tiefer zu blicken, es fasziniert mich ungeheuer, ich muß diesem Superversager folgen, wie er Kabine um Kabine streift, reinblickt und manchmal längere Zeit drinbleibt.
    Er löst die Aufgabe brillant, sagt hingerissen Friedlinde Freund, er wahrt in harter Situation die Menschenwürde, Emil Erasmus zeigt uns den wahren Menschen. Nun fällt auch die Beleuchtung aus. Allein der Bildschirm glimmt, Hilfspsychologinnen und Bewährungstechnikerinnen infiltrieren das Gerücht, die Sauerstoffversorgung drohe auszufallen.
    Ich kümmere mich nicht darum, was die vier aufgeregten Versager machen, ich suche Emil Erasmus, der trostspendend durch die Kabinen geistert. Er hat uns durch sein Vorbild aufgerichtet, sagt Kapitänin Nord. War doch alles fiktiv, flüstere ich. Trotzdem, sagt sie, da können Sie jede fragen.

    9

    Und wie stand es mit mir? Bin ich die einzige Frau an Bord, die einen klaren Kopf behalten hat und unterscheiden kann, was wirklich ist und was fiktiv? Schade, daß ich nicht deprimiert und daher auch nicht trostbedürftig bin.
    Emil Erasmus scheint das nichts auszumachen; ich überraschte ihn, als er an
meiner Kabinentür durchs Schließloch spähte.
Ich bin nicht drin, rief ich.
Er zuckte nicht zusammen. Dann gehst du eben rein.
Und was willst du hier? fragte ich, die Tür aufschließend.
    Sirene, sagte er ein bißchen vorwurfsvoll, du weißt doch, ich leide an chronischer Gleichlaufangst, ich kann nicht dauernd in meinem eigenen Versagerbett zur vorgeschriebenen, immer gleichen Zeit den vorgeschriebenen Schlaf durchführen. Du meinst, wir sollen unsere Betten tauschen?
    Du weißt, Sirene, daß ich nicht nur Normalversager, sondern Multiversager bin. Ich habe manchmal auch die Vereinsamungsphobie, ich kann nicht dauernd allein in einem Bett sein.
    Bevor ich ihm entgegnen konnte, war er schon in mein Bett geschlüpft, zog aber keineswegs den grünen Schlafsack zu, lag lässig da, als sollte ich ihn für den teuren Damen-Almanach APOLLO fotofixieren: Herrenakt, weiß, in grüner Schale. Als ich ihn noch betrachtete, wirkte er plötzlich, als sei ihm etwas dringend. Ich kann den Sack nicht zuziehen, klagte er, ich bin allergisch gegen Eingeschlossensein. Ich leider auch, gestand ich.
    Aber wenn ich alleine offen liege, befällt mich ein Gefühl des Ausgesetztseins, ich fröstele und klappere mit den Zähnen.
    Das muß nicht sein, wir haben beide in diesem Bett und auch im Schlafsack Platz. Kaum hatten unsere beiden Häute sich berührt, fröstelte er nicht mehr. Sein silberblondes Hauthaar leitete knisternd Energie. Von wem zu wem? Ich kann es nicht mehr unterscheiden.

    10

    Merkwürdig finde ich, daß K. als lebensgefährliche Havarie im Plan stand, sich nicht als erster meldete, um die notwendigen Reparaturen außenbords durchzuführen. Die anderen Versager stiegen zwar an der sicheren Leine aus, wagten aber nicht, am Raumschiff etwas anzufassen. Wir sind keine Fachleute, wir könnten was kaputtmachen. Sie erhielten dafür knappe Halbnullen eingetragen. Erst als sie unverrichteterdinge zurückgekrochen waren und unsere Kapitänin den K. dringend bat, sich wenigstens die Schadenstelle anzusehen, ließ er sich in den Raumanzug stecken und spazierte an der Leine hinaus. Er blieb länger im Raum als die anderen vor ihm. Er umschwebte das ganze Schiff, wobei er jeden Quadratmillimeter des Mantels zu untersuchen schien. Ich habe leider versagt, gab er, zurückgekehrt, zu, ich habe den Defekt nicht gefunden.
    Um die Fiktion zu erhalten, begab sich eine unserer Technikerinnen außenbords und tat, als repariere sie.
    Was haben wir noch auf dem Plan? Ach, Meteoritenalarm. Den Einflug in ein Gebiet, wo unser Schiff, wie die Kapitänin uns weismachen will, zu einem Perpetuum mobile zu werden droht. Es könnte geschehen, sagte sie, daß wir aus dem Gebiet nichtmehr herauskommen. Ich habe die ganze Fiktionswirtschaft satt. Es wundert mich aber, daß Emil Erasmus bei dieser Schauernachricht höhnisch den Mund verzog. Freust du dich etwa?

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