Der Väter Fluch
ging Karl einen Schritt nach vorn, nahm den Spaten und schaufelte dicke Brocken Erde auf den Sarg seines Bruders. Seine breiten Schultern zitterten vor Trauer und Kummer.
Nach einer halben Stunde war das Grab von einem Hügel frischer Erde bedeckt. Die verzweifelte Familie kehrte zum Leichenwagen zurück, und die Prozession bewegte sich den Hügel hinab. Wagen an Wagen, Stoßstange an Stoßstange. Es kostete Decker eine halbe Stunde, um wieder auf die Hauptstraße zu gelangen, und weitere zwanzig Minuten, einen Parkplatz zu finden. Er musste sich mit einer Parkbucht etwa einen Häuserblock vom Haus der Goldings entfernt begnügen.
Aus der Eingangstür strömten ihm die Trauergäste entgegen. Manche hielten ein Getränk in der Hand, andere aßen oder unterhielten sich. Niemand weinte, und Decker entdeckte kein einziges trauriges Gesicht. Es hätte eine ganz normale Party sein können, nur mit dem Unterschied, dass die Gespräche gedämpfter waren und das unbeschwerte, helle Lachen fehlte, das normalerweise den Genuss alkoholischer Getränke begleitete.
Decker bahnte sich einen Weg durch die Menge, murmelte hier und da ein »'tschuldigung« und tat so, als bemerke er die ungehaltenen Blicke nicht. Sie betrachteten ihn wie einen Elefanten im Porzellanladen. Da das Haus hohe Decken besaß, hallten die Räume vom Klappern des Geschirrs und dem Lärm der Gespräche wider, ab und zu unterbrochen von einem Schluchzen. Decker nutzte seine Größe, um einen Blick über die Menschen zu werfen, aber er konnte Karl nirgendwo entdecken. Allerdings sah er Jill, die in ihr Taschentuch weinte. Schließlich auch Carter, der dem Pfarrer gerade die Hand schüttelte. Sie standen ziemlich weit von ihm entfernt, und um zu ihnen zu gelangen, musste er sich zwischen zahlreichen weiteren Trauergästen hindurchkämpfen.
Carter bemerkte ihn als Erster und begrüßte ihn mit einem Kopfnicken. Decker nickte zurück. Es folgte ein kurzer Moment des Schweigens. Dann sagte Carter: »Reverend, das ist Lieutenant Decker...« Hier brach Golding abrupt ab, seine Unterlippe begann zu zittern, und er drehte den Kopf zur Seite.
»Ich leite die Ermittlungen«, erklärte Decker.
»Jack Waylen.« Der Reverend gab ihm die Hand.
Decker schüttelte sie. »Sie haben mir aus dem Herzen gesprochen.«
»Es war auch aus dem meinen gesprochen.«
Decker wandte sich Golding zu. »Ein sehr schöner Weg, um sich von Ihrem Sohn zu verabschieden.« Er seufzte. »Ich möchte nur, dass Sie wissen, dass Sie mich jederzeit erreichen können.«
Carter schloss die Augen. »Danke.«
»Wenn sich alles ein wenig beruhigt hat, möchte ich Sie bitten, das auch Ihrer Frau auszurichten. Ich hätte es ihr gerne selbst gesagt, aber ich glaube, dass mein Erscheinen sie nur noch mehr betrüben würde.«
»Das stimmt.« Carter verschränkte die Hände. »Vielen Dank, dass Sie gekommen sind.«
Der klassische Rausschmiss. Decker war entlassen. Langsam drehte er sich um und ging Richtung Ausgang. Wenige Augenblicke später spürte er jemanden dicht neben sich. Der Reverend hatte ihn eingeholt.
»Haben Sie schon einen Verdacht, wer den Mord begangen hat?«, fragte Waylen.
»Einen Verdacht habe ich schon«, erwiderte Decker und betrachtete den stämmigen Mann. »Aber der ist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.«
»Dieser Fall sollte sich nicht zu lange hinziehen. Das würde nicht nur Ihrem Image schaden, sondern auch die Moral der Gemeinde beeinträchtigen.«
»Ich tue mein Bestes, Reverend.«
»Dies ist kein gewöhnlicher Fall, Lieutenant«, sagte Waylen. »Und auch nicht irgendeine isolierte Sekte. Die Goldings gehören zur Gemeinde - sie sind geschätzte und geachtete Gemeindemitglieder. Seit der Ermordung von Dr. Sparks vor sechs Jahren hat es in unserer Gemeinde keine so schlimme Tragödie mehr gegeben. Wir brauchen eine Lösung des Falls, und wir brauchen sie schnell, damit der Heilungsprozess einsetzen kann.«
Decker sträubten sich unwillkürlich die Nackenhaare, nicht wegen Waylens Ermahnungen, sondern der Erwähnung des Namens Sparks wegen. »Wir haben damals den Fall gelöst, und wir werden auch diesen lösen.« Pause. »Haben Sie sonst noch was auf dem Herzen?«
»Wenn Sie mir etwas mitteilen möchten, bin ich immer für Sie da«, erwiderte Waylen. »Und das gilt auch im umgekehrten Fall.« Decker blickte ihm direkt in die Augen. »Sie wissen ja, wie das ist. Polizisten und Priester stützen sich gern auf Bekenntnisse.«
Der Reverend zog eine Augenbraue hoch.
Weitere Kostenlose Bücher