Der Vater des Attentäters (German Edition)
dieser Konferenz und …»
«Wie hieß er denn?»
«Jeremy», sagte ich. «Aber wir haben ihn alle nur Jerry genannt.»
«Wissen Sie noch, welches Zimmer er hatte?», fragte der Junge.
Ich trat einen Schritt vor, und so gab er unwillkürlich den Eingang frei. Statt mich gegen sich stoßen zu lassen, machte er einen Schritt zur Seite. Ich ging hinein. Drinnen sah es genauso aus, wie Danny es beschrieben hatte: Es war ein Schweinestall, roch nach schalem Bier und verschimmeltem Auslegeteppich. Zerdrückte, leere Bierdosen lagen auf dem Boden.
«Oben», sagte ich. «Das Zimmer neben dem Bad.»
«Das ist jetzt meins», sagte er. «Ich bin im letzten Monat hier eingezogen.» Er senkte vertraulich die Stimme. «Ich mag es hier nicht wirklich. Es ist widerlich.»
Die Tapete war verfärbt und hing an einzelnen Stellen von der Wand. Wie musste das für meinen Sohn gewesen sein? Er war immer so gepflegt und ordentlich gewesen.
«Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich …» Ich deutete die Treppe hinauf.
Er führte mich zu seinem Zimmer und bot an, draußen zu warten.
«Ich brauche nur eine Minute», sagte ich, «und ich verspreche, ich fange nicht an zu weinen oder tue sonst was Peinliches.»
Er schüttelte den Kopf. «Meine Mom ist gestorben, als ich sieben war», sagte er. «Die neue Frau meines Vaters ist eine Zicke. Nehmen Sie sich Zeit. Ich gehe nach unten und sehe fern. Kommen Sie herunter, wenn Sie so weit sind.»
«Danke …»
«Robert. Aber hier nennen sie mich Kumpel oder Boss .» Er drehte sich um und ging die Treppe hinunter. Ich stand für einen Moment noch im Flur und versuchte mir meinen Sohn in diesem Haus vorzustellen. In Vassar hatte er in einem ansehnlichen Ziegelbau gewohnt, der die Würde eines ganzen Jahrhunderts ausgestrahlt hatte. Dieses Haus verrottete von innen heraus, wie eine Melone. Die Decken waren niedrig, der Teppich war mit Flecken übersät, und aus dem Bad drang ein Geruch, der nur als viehisch zu beschreiben war. Mit dem Zeh schob ich die Tür zu Daniels altem Zimmer auf. Es war klein und fast quadratisch.
An den Wänden hingen Poster von Rockbands und Karten von Deutschland, Vietnam und Australien. Im Gegensatz zum Chaos im Rest des Hauses war hier alles aufgeräumt, und es lagen weder Kleidungsstücke noch Müll herum. Auf dem Schreibtisch stand ein Computer. Das Zimmer war gerade groß genug für ein breites Einzelbett, das an der Wand ohne Fenster und Tür stand. Da hatte sicher auch Danny sein Bett hingestellt. Ich versuchte ihn mir darauf vorzustellen. Da war er noch kein verurteilter Mörder, sondern ein junger, umherziehender Bursche gewesen. Ich versuchte ihn mir dort vorzustellen, wie er russische Klassiker las, um ein Mädchen zu beeindrucken, aber es wollte sich kein Bild formen. Stattdessen sah ich ihn am Schreibtisch sitzen und Computerausdrucke über berühmte Geisteskranke lesen. Ich sah, wie er die Schranktür öffnete und eine Pistole unten aus seinem Wäschekorb zog, sah, wie er sich versicherte, dass sie geladen war, und entschlossen zur Tür ging, um den fetten texanischen Kerlen da draußen zu zeigen, dass sich Daniel Allen von ihnen nicht einschüchtern ließ. Oder sagen wir Carter Allen Cash. Das war der Mann mit der Waffe. Aber das Zimmer war ein ganz gewöhnliches Zimmer, hier ließen sich weder Geister noch Schatten einfangen. Ich hatte auf Antworten gehofft, fand aber nur Möbel. Ich schaltete das Licht aus und ging wieder nach unten.
Robert saß auf dem Sofa im Wohnzimmer, auf einer schützenden Schicht Zeitungen, aß ein Müsli und sah sich eine Folge Ice Road Truckers an.
«Ich bin so weit», sagte ich. «Vielen Dank.»
Er nickte. «Es wird leichter», sagte er. «Auch ohne dass Sie es wollen. Einfach so.»
Auf der Straße verspürte ich das Bedürfnis, ein Stück zu Fuß zu gehen. Ich lief die Guadalupe Street hinunter. Auf der anderen Seite der Straße erhoben sich die Gebäude der Universität mit ihren orangefarbenen Dächern. Ich war ein Jagdhund, und mit dem Besuch des Verbindungshauses hatte ich Blut geleckt. Ich musste die Ladenzeile finden, in der Seagrams Wahlkampfzentrale untergebracht gewesen war, das Büro, in dem mein Sohn gearbeitet hatte. Ich ging fünf Blocks nach Süden, drehte dann um und ging zurück in Richtung Norden. Ich fand Seagrams ehemaliges Büro neben den Scientologen, einen halben Block vom Co-op-Buchladen entfernt. Mittlerweile war es ein Tattoo-Studio mit einem Schaufenster voller Zeichnungen und Designs. So
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