Der Vater des Attentäters (German Edition)
gesehen, als Teil von etwas Größerem, ein liebendes Wesen, das mit anderen liebenden Wesen verbunden war, und doch war er jetzt allein, war da jetzt dieser Riss zwischen ihnen. Das war allerdings nichts Neues, das hatte er früher schon erlebt. Ungewollt zu sein. Er war der Junge, der fallengelassen wurde. Dieses Wiedererkennen, die Kälte, die daraus resultierte, ließ ihn sich erst gegen sich selbst, dann gegen die Welt richten.
Der Junge würde seinen Wert beweisen, würde der Welt beweisen, dass er von Bedeutung war und sich nicht einfach wie Müll aussortieren ließ. Dieses Gefühl, der gleißende, helle Blitz, mit dem es ihn erfasste, hatte ihn aus dem Bett katapultiert, aus seiner Lähmung gerissen. Er begann sich wieder zu duschen, trainierte seinen Körper und aß richtig. Er hatte jetzt ein Ziel, einen Daseinsgrund. Er war in die Wildnis gekommen, war durch die halbe Welt gezogen, um seine Bestimmung zu finden. Und es war gelungen.
Wolf oder Schaf?
Die Antwort war klar.
Es war gut gewesen, als er endlich wieder zu seinem Auto zurückkehren und in dessen schützendes Gehäuse klettern konnte. Seit dem College war er jetzt fast ein Jahr unterwegs. In dieser Zeit hatte sich ihm der Honda angeglichen, wie ein Paar Schuhe, die erst eingelaufen werden müssen. Er kannte jede noch so kleine Reaktion des Wagens, war vertraut damit, wie er auf Geraden leicht nach links zog und die Reifen kurz die Bodenhaftung verloren, wenn er durch eine Wasserlache fuhr. Er kannte jedes Geräusch, bis in die letzte Schwingung, das Rasseln der Klimaanlage, wenn sie versuchte, die Luft im Innenraum herunterzukühlen. Das harte Krachen des Getriebes, wenn er in den Rückwärtsgang schaltete. Wenn es geregnet hatte, roch das Wageninnere wie eine alte Sporttasche. Das Beifahrerfenster schloss nicht mehr richtig, und deshalb pfiff immer leise ein Windhauch ins Innere.
Das Auto war ihm ein Freund, vielleicht sein einziger richtiger Freund. Sie hatten einiges gemeinsam erlebt. Manchmal, wenn er länger als zwei Wochen unterwegs war, begann er mit dem Auto zu reden – zumindest vermutete er das, denn mit sich selbst redete er nicht, nein, ganz bestimmt nicht. Er musste nur seine eigene Stimme von Zeit zu Zeit hören, um sich zu vergewissern, dass es ihn wirklich gab. Im Übrigen hatte er den Eindruck, dass der Wagen besser lief, wenn er mit ihm redete. Zum Beispiel konnte er das Radio überreden, sich eine elektrische Verbindung zu suchen und endlich anzugehen. Oder er redete dem Anlasser gut zu, den Motor in Gang zu setzen. In kalten Nächten lag er manchmal auf der Rückbank, auf dem leeren Parkplatz eines Supermarkts, und ertappte sich dabei, wie er einen tiefen, melodischen Ton summte, und es klang wie eine große Maschine im Aufwärmmodus.
Jetzt aber stand er in einem Park in Sacramento und sah zur Kuppel des Capitols hinauf. Der Frühling war mittlerweile überall, mit einer warmen Brise und einer Explosion von Farben. Das Leben. Die Schatten der Palmen fielen auf die Stufen des Capitols. Er hatte gelesen, dass Ratten gerne in Palmen lebten, und achtete darauf, den Bäumen nicht zu nahe zu kommen, für den Fall, dass eine herausfiel.
Er dachte an Lynette «Squeaky» Fromme, die am 5. September 1975 hier in diesem Park eine Pistole auf Gerald Ford gerichtet hatte, einen halbautomatischen Colt, Kaliber 45, der mit nur vier Patronen geladen gewesen war. Später erklärte Fromme einigen Reportern, dass sie vor dem Verlassen ihres Hotelzimmers absichtlich die Patrone, die bereits in der Kammer gewesen sei, wieder daraus entfernt habe. Die Ermittler fanden die Kugel im Bad neben der Wanne. Während des Attentatsversuchs trug Squeaky ein rotes Gewand, das Zeugen mit der «Kutte einer Nonne» verglichen. Sie war zu dem Zeitpunkt in diesem Land schon eine bekannte Frau, war sie doch mit dem wohl berühmtesten Mörder der letzten Jahre verbunden gewesen, Charles Manson.
Zwei Wochen später hatte eine andere Frau, Sara J. Moore, in San Francisco vor der Eingangstür des St. Francis Hotel einen Schuss auf Ford abgegeben. Ein Mann neben ihr konnte sie zu Boden ringen, dann wurde sie verhaftet. Die Frage stellte sich, was Präsident Ford wohl an sich hatte, dass ihn Frauen umbringen wollten.
Bei ihrem Prozess forderte die Anklage das höchstmögliche Strafmaß für Fromme. Der Staatsanwalt sagte, sie sei «voller Hass und Gewaltbereitschaft». Fromme warf einen Apfel nach ihm und traf ihn im Gesicht, so dass er seine Brille verlor.
Als
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