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Der Vater des Attentäters (German Edition)

Der Vater des Attentäters (German Edition)

Titel: Der Vater des Attentäters (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Hawley
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auftauchen.»
    Der Moderator im Fernsehen sagte gerade: «Starke Winde in den Staaten der Great Plains, mögliche Windhosen.»
    «Glaubst du, du könntest mir noch eine Decke besorgen?», fragte Danny.
    Ich versuchte seinen Blick aufzufangen, eine Verbindung zu ihm aufzubauen, aber er sah starr zum Fernseher auf, als böte das Wetter einen Schlüssel zum Verständnis seiner Lage.
    In einem Schrank fand ich eine dünne Baumwolldecke. Ich breitete sie über ihn und wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich hatte keine Sprache für eine Tragödie dieses Ausmaßes. Eine Tragödie, die groß genug war, die Sonne zu verdunkeln. Ganz neue Worte mussten erfunden werden, neue Ausdrücke und Formulierungen. Und doch sollte ich ihn fragen, geradeheraus. Er würde mir doch die Wahrheit sagen? Schließlich war ich sein Vater. Aber ich brachte die Frage nicht heraus. Es war, als wollte ich es nicht wissen.
    «Hast du etwas gegessen?», fragte ich.
    Er schüttelte den Kopf. Ich ging zum Waschbecken, wusch mir die Hände, trocknete sie mit einem Papierhandtuch ab und trat zu ihm. Ich überprüfte den Verband an seinem Bein. Damit hatte ich etwas zu tun. Es war eine medizinische Alltäglichkeit, die mich, wie ich hoffte, auf den Boden der Wirklichkeit zurückholte und meinen Herzschlag beruhigte.
    «Die Wunde sieht gut aus», sagte ich. «Nur ein paar Stiche. Da bleibt vielleicht nicht mal eine Narbe.»
    Er lächelte, ohne seine Zähne sehen zu lassen.
    «Schade», sagte er. «Da, wo ich hinkomme, könnte ich wahrscheinlich ein paar Narben brauchen. Narben und ’ne harte Rechte.»
    Er war ein magerer Junge, mittelgroß, gutaussehend. Wie wurden die hübscheren Sträflinge in Filmen immer genannt? Chicken .
    «Ich habe gehört, dass du eine Weile in Austin warst», sagte ich.
    «Ich war überall», antwortete er nach einer kurzen Pause. «Im Gebirge, in der Wüste. Es ist wirklich ein erstaunliches Land.»
    Dir hat die Landschaft so gefallen, dass du einen Politiker erschossen hast? , wollte ich sagen. Aber ich tat es nicht. Hier war kein Platz für Sarkasmus. Im Übrigen war er unschuldig. Etwas anderes durfte nicht sein.
    «Danny …», begann ich.
    «Ich heiße jetzt Carter», sagte er.
    «Den kenne ich nicht», sagte ich. «Aber ich kenne Daniel Allen, ich kenne meinen Sohn. Ich weiß, er ist kein Mensch, der so etwas tun würde. Jemanden erschießen. Ich weiß es einfach. Erzähl mir, was passiert ist. Ein Mann steht neben dir, zieht eine Pistole, gibt ein paar Schüsse ab, und du entwindest ihm die Waffe, als sich die Kameras in eure Richtung drehen. So etwas passiert immer wieder.»
    Wirklich? Schon während ich es sagte, klang es verrückt. Wir lebten in einer Welt der Bilder. Ein Schuss wurde abgegeben, der Schütze auf Video aufgenommen. Wo war da Raum für einen Irrtum?
    Einen Moment lang sagten wir beide nichts. Morgen würde es in Oklahoma und Teilen des Südwestens heiß werden. In Portland, Oregon, wurde heftiger Regen erwartet.
    «Ich will nicht darüber reden», sagte er.
    «Was soll das heißen?», sagte ich. «Du bist wegen Mordes an einem Senator verhaftet worden. Er wäre Präsident geworden. Du musst jetzt sofort darüber reden, musst auf den Tisch hauen und denen sagen, dass du es nicht warst.»
    Er sah zum Fernseher hinauf. «Ich bin müde», sagte er.
    Ich setzte mich vorsichtig auf den Rand seines Betts. So viele Dinge lasteten schwer auf unserer Beziehung. Ich war der Vater, der sich von seiner Mutter hatte scheiden lassen, als er sieben gewesen war. Ich hatte ihn verlassen, war nicht für ihn da gewesen, hatte zu manchem Geburtstag nicht angerufen und vergessen, ein Geschenk zu schicken. Ich war der Wochenend-Dad, der Ferien-Dad, ich war der Heuchler, der zu ihm sagte: Nimm keine Drogen , der glaubte, ihn ermahnen zu müssen, es mit seinen Freundinnen nicht zu ernst werden zu lassen, sondern sich vor der Ehe erst einmal etwas umzusehen. Ich war die Art Vater, über die man in Therapien redete. Was schuldete er mir? Warum rechnete ich überhaupt mit einer klaren, direkten Antwort?
    «Uns bleibt kaum Zeit», sagte ich. «Wir haben nur zehn Minuten, du hast ihn gehört. Sag etwas. Etwas, das ich deiner Mutter weitergeben kann. Etwas, das ich den Zwillingen sagen kann. Sag mir, dass du es nicht warst, und ich kämpfe bis zum letzten Atemzug, um dich da herauszuholen.»
    Er drehte den Kopf und sah mich an. Sein linkes Auge war halb zugeschwollen. Unter der Nase hatte er ein paar angetrocknete Blutspritzer.
    «Und

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