Der Vater des Attentäters (German Edition)
was, wenn ich es doch war?», fragte er. «Würdest du dann immer noch für mich kämpfen?»
Ich hörte seine Worte, aber mein Hirn konnte sie nicht entschlüsseln. Und was, wenn ich es doch war? Es war, als fragte er: Was, wenn die Sonne aus Eis wäre? Was, wenn der Regen nach oben, statt nach unten fiele? Gab es das – eine Welt, in der mein Sohn einen Mord begehen konnte?
Nein. Er wollte mich nur auf die Probe stellen. Er wollte Gewissheit über die Vorbehaltlosigkeit meiner Liebe zu ihm, er wollte ein für alle Mal bestätigt wissen, dass ich sein Vater war und immer bleiben würde, ohne Wenn und Aber. Wir hatten uns einmal nahe gestanden und dann die Verbindung verloren, und er versuchte herauszufinden, ob ich trotzdem noch sein Vater war.
«Ja», sagte ich, «natürlich. Du bist mein Sohn.»
Er schien nachzudenken. Ich sah ihm an, dass er nicht sicher war, ob er mir glauben sollte. Am Ende legte er den Kopf zurück ins Kissen und schloss die Augen.
«Ich bin müde», sagte er wieder.
Ich versuchte seine Hand zu ergreifen, aber er zuckte zurück.
«Es tut mir so leid», sagte ich.
Er schwieg.
Ich streckte die Hand aus, um sein Gesicht zu berühren. «Es tut mir so leid», wiederholte ich.
Die Tür öffnete sich. Tolan stand da, mit zwei Männern des Secret Service. Ihr Ausdruck sagte alles. Es war so weit. Ich überlegte kurz, ob ich kämpfen sollte, ob ich meinen Sohn packen und nicht wieder loslassen sollte. Schickt mich doch ins Gefängnis, dachte ich. Lasst mich seine Stelle einnehmen. Ich sitze seine Zeit ab. Es ist alles meine Schuld.
Ich sah Danny an.
Seine Augen waren geöffnet, er starrte die Beamten in ihren Anzügen an, die Pistolen in ihren Halftern. Dann sah er mich an und zuckte mit den Schultern. «Zu spät», sagte er.
Ich rief Ellen an und verabredete mich mit ihr in einem Diner in Malibu. Sie bat mich, nicht zu ihr nach Hause zu kommen. Kamerateams stünden in ihrem Vorgarten. Sie werde sich nach hinten hinausschleichen, über den Zaun des Nachbarn klettern und sich durch seinen Garten stehlen. Es war acht Uhr morgens. Ich saß in einer Nische des Diners ganz hinten und sah zu den Surfern auf dem Meer hinaus. Mir wollte Dannys Gesicht nicht aus dem Kopf. Auf dem Tisch vor mir lagen die Zeitungen des Tages. Fast die ganze erste Seite der New York Times war dem Ereignis gewidmet. Die Hauptschlagzeile lautete: «Seagram ermordet. Attentäter verletzt festgenommen.»
Ich durchforstete den Artikel nach Unstimmigkeiten, Einzelheiten, die nicht zusammenpassten, und schrieb die Namen der zitierten Augenzeugen auf. Jane Chapman, achtzehn Jahre, sagte, sie habe hinter dem Mann mit dem weißen Hemd gestanden, der dreimal in Richtung Bühne gefeuert, sich dann umgedreht habe und davongelaufen sei. Sein Gesicht habe sie nicht sehen können. Oscar Delroy, zweiundzwanzig Jahre, berichtete, er habe die Schüsse gehört und dann einen Mann in einem weißen Hemd durch die Zuschauermenge auf sich zulaufen sehen. Die Befragung von Studenten und Fakultätsmitgliedern war noch nicht abgeschlossen gewesen, als die Zeitung in Druck ging. Ich nahm an, am nächsten Tag würde es weitere Informationen geben, zusammen mit neuen Fotos.
Auf Seite acht war der Grundriss von Royce Hall abgebildet, dem Unigebäude, wo das Attentat stattgefunden hatte. Seagrams Platz auf der Bühne war darauf eingezeichnet, ebenso die Stelle, wo Danny nach Aussage der Zeugen gestanden hatte. Die Frage wurde aufgeworfen, wie er eine Pistole in den Zuschauerraum hatte schmuggeln können, wo doch alle Besucher einen Metalldetektor hätten passieren müssen. Seit dem Attentat von Tucson seien die Sicherheitsmaßnahmen für Politiker drastisch erhöht worden, es gebe mehr Polizeibeamte, längere Vorbereitungszeiten und keine Veranstaltungen im Freien mehr. Und doch genüge das offenbar nicht, und irgendwie fänden Attentäter immer noch einen Weg. Politiker forderten Antworten ein, und es sollte eine Kongressanhörung geben.
Ich las jeden Artikel zweimal. Es gab Fakten, aber nicht genug. Ich musste das Originalmaterial sehen, die internen Berichte der Polizei, musste die Zeugenaussagen lesen und jeden Millimeter Film studieren. Ganz sicher gab es in dem Meer von Material irgendwo eine Einzelheit, die bewies, dass mein Sohn unschuldig war.
Ellen kam herein. Sie trug ein Kapuzensweatshirt, eine Baseballkappe und eine Sonnenbrille. Gäste drehten sich nach ihr um, hielten sie wohl für eine Schauspielerin, die unerkannt
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