Der Vater des Attentäters (German Edition)
bleiben wollte. Sie setzte sich mir gegenüber in die Nische. Ich hatte Ellen seit mehr als fünf Jahren nicht gesehen. Sie trug ihr lockiges braunes Haar jetzt lang, und es sah aus, als habe sie an ihrem Gesicht ein paar Dinge machen lassen: Die Haut um die Augen wirkte gestrafft, das Kinn geliftet.
«Herr im Himmel», sagte sie und bestellte einen doppelten Espresso. «Dieser verdammte Kerl.»
«Er war es nicht», sagte ich.
«Ich weiß. Ich meine ja nur. Als er klein war, konnte ich ihn nicht mal dazu bringen, eine Fliege zu erschlagen.»
«Ich war bei ihm», sagte ich.
«Unsinn», sagte sie. «Der Secret Service redet nicht mal mit mir.»
«Sie haben ihn ins Cedars gebracht. Er hatte eine Kugel im Bein. Er ist angeschlagen, aber okay.»
Sie nahm die Sonnenbrille ab, ihre Augen waren gerötet. Sie hatte geweint, ein ungewohnter Anblick. Während unserer gesamten Ehe hatte ich sie kaum einmal weinen sehen.
«Er hat mich letzte Woche angerufen», sagte sie. «Er sagte, er komme nach L.A. , und ich habe ihm natürlich angeboten, bei mir zu wohnen, aber er wollte zu einem Freund.»
Ich hakte nach. Das war eine mögliche Spur. «Zu welchem Freund?»
Sie zuckte mit den Schultern. «Ich habe ihm gesagt: ‹Ruf an, sobald du in der Stadt bist›, aber er hat sich nicht gemeldet. Wie geht es ihm? Es macht mich fertig, dass ich nicht mit ihm sprechen kann. Ich bin immerhin seine Mutter! Sie müssten mich … Das sollte gesetzlich vorgeschrieben sein, dass man mit seiner Mutter sprechen kann …»
Sie rieb sich die Augen. Als ich Kalifornien verlassen hatte und nach New York gezogen war, hatte Ellen meine Rolle mit übernehmen müssen. Ja doch, ich hatte meinen Sohn besucht, und er mich. Zum Wochenende, in den Ferien, über die Weihnachtstage. Einmal in der Woche telefonierten wir. Aber Ellen zog ihn groß. Sie kleidete ihn, nährte ihn und brachte ihn zur Schule. Sie maß seine Temperatur, wenn er krank war, und küsste seine kleinen Verletzungen. Ich war nur eine Stimme am Telefon und schrieb ab und zu einen Brief. Ich war «Daddy», die bloße Vorstellung eines Vaters, ein Mythos, der sich vergöttern oder verteufeln ließ.
Ellen und ich hatten versucht, die Scheidung so harmonisch wie möglich zu vollziehen. Wir wollten Danny beide nicht über das Minenfeld unseres Scheiterns zerren, aber es war nicht einfach. Ellen fühlte sich betrogen und im Stich gelassen. In den Monaten vor unserer Trennung war sie sehr fordernd und anlehnungsbedürftig geworden. Sie wollte, dass ich mehr Zeit zu Hause verbrachte. Sie komme sich wie eine alleinerziehende Mutter vor, sagte sie. Ich fühlte mich angegriffen und gemaßregelt. Mein Umzug nach New York hatte mit meiner Karriere zu tun, aber ebenso viel mit dem Wunsch, Abstand zwischen uns beide zu bringen. Ich redete mir ein, es sei nur vorübergehend. Dass ich in ein, zwei Jahren nach Kalifornien zurückkehren würde.
«Ich verspreche es dir», hatte ich zu Danny gesagt. «Ich verspreche dir, dass ich dich nicht im Stich lasse.»
Doch aus der befristeten wurde eine feste Anstellung. Ich rückte in der Hierarchie des Krankhauses auf und hielt Vorlesungen an der Columbia University. New York war für mich eine positive Herausforderung, New York füllte mich aus. Und dann traf ich Fran, und wir verliebten uns. Plötzlich kam mir die Vorstellung, zurück nach Kalifornien zu ziehen, fremd und überholt vor. Es war der Vorsatz eines anderen Mannes, aus einem anderen Leben. Fran und ich heirateten.
Immer noch hielt ich mich eisern daran, Danny einmal in der Woche anzurufen und ihn für verlängerte Wochenenden und Urlaube zu mir zu holen. Fran behandelte ihn wie einen Lieblingsneffen und tat alles, damit er sich willkommen fühlte, auch als wir dann zwei eigene Kinder bekamen. Wenn Danny uns besuchte, nahm ich mir frei. Wir gingen in den Park und in den Zirkus. Ich wollte, dass er gerne kam. Ich wollte, dass er sich bei seinem Dad aufgehoben fühlte.
Ellen hatte in L.A. einige missglückte Beziehungen, im Übrigen schien sie ständig neue Wunderdiäten zu machen oder irgendwelche Selbsthilfe-Ratschläge zu befolgen. Sie arbeitete erst für einen Kostümdesigner, dann für einen Medienrechtler, schließlich studierte sie noch einmal auf einer Schule für Landschaftsgestaltung.
Wenn ich mich nur erst organisiert habe , musste sie sich gesagt haben. Wenn ich nur zu Atem käme, wenn ich nur zehn Pfund verlöre und nicht immer auf die falschen Männer hereinfiele. Aber niemand will
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