Der verborgene Charme der Schildkröte
ägyptologische Abteilung, was wegen des Größenunterschieds zwischen ihnen ziemlich mühsam war.
Wieder zurück an ihrem Schreibtisch, nahm sie den Telefonhörer und rief beim Verband der Holzarbeiter an, denn am Morgen war Thanos Grammatikos mit der Urne zurückgekehrt und hatte versichert, dass sie aus Granatapfelholz bestehe. Sie ließ sich mit dem Vorsitzenden verbinden, weil sie zu erfahren hoffte, wer sich auf solches Holz spezialisiert habe. Ihm war niemand bekannt, aber er versprach, ihr eine Liste der Mitglieder zu senden, die Auftragsarbeiten ausführten. Nachdem sie wieder aufgelegt hatte, schaute sie zu ihrer Kollegin hinüber und vergewisserte sich, dass sie nicht guckte. Dann griff sie zum Tagebuch des Gigolos.
»Der Verrat der Schweden«, verkündete Valerie Jennings plötzlich.
»Wie bitte?«, fragte Hebe Jones.
»Der Verrat der Schweden«, wiederholte sie und schloss das lateinische Wörterbuch, das sie sich aus einem der Bücherregale ausgeborgt hatte. »Das ist es, was perfidia Suecorum bedeutet. Viel mehr kann ich in dem Manuskript nicht entziffern. Hundsmiserable Handschrift.«
Als die Schweizer Kuhglocke läutete, erhob sich Hebe Jones und schaute ihrer Kollegin auf dem Weg zum Schalter über die Schulter. Dann bog sie um die Ecke und sah Tom Cotton in seiner blauen Uniform vor sich stehen. Sie schlug die Hand vor den Mund. »Sie haben doch hoffentlich nicht schon wieder etwas verloren?«
»Ich habe mich nur gefragt, ob Sie wohl einen Kaffee mit mir trinken würden«, sagte er.
Während Tom Cotton in der Schlange stand, wählte Hebe Jones denselben Tisch hinten im Café, wo sie auch das letzte Mal gesessen hatten. Von dort beobachtete sie, wie er in seiner gepflegten Uniform mit dem Mädchen hinter der Theke sprach, und fragte sich, wieso seine Frau ihn wohl hatte gehen lassen. Als er mit dem Tablett kam, senkte sie die Augen.
»Und?«, fragte er, setzte sich und stellte ihr eine Tasse und einen Teller hin. »Wurde in letzter Zeit etwas Interessantes abgegeben?«
Hebe Jones dachte einen Moment nach. »Eine Tuba, auf der nun in Momenten der Verzweiflung meine Kollegin spielt, und ein Sarkophag«, sagte sie. »Und?«, fragte sie dann und biss in ihr Haferflockenteilchen. »In letzter Zeit ein paar Leben gerettet?«
»Die Organspender und die Ärzte retten Leben. Ich bin nur der Bote«, erklärte er und führte seine Tasse zum Mund.
Hebe Jones sah auf den Tisch hinab. »Milos Organe haben wir nicht gespendet«, sagte sie und schaute plötzlich auf. »Sein Herz wurde von einem Spezialisten untersucht. Es hat Wochen gedauert, bis wir es zurückbekamen. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass es nicht bei ihm war.«
Schweigen trat ein, als sie nun beide in eine andere Richtung schauten. Schließlich sagte Tom Cotton: »Sie haben Milo nicht völlig verloren. Meine Schwester ist gestorben, als wir noch sehr jung waren. Einen Teil der Menschen, die wir lieben, tragen wir für immer in uns.«
Nachdem sie ihre Wangen mit dem weichen, weißen Taschentuch, das er ihr gereicht hatte, getrocknet hatte, sah sie ihn durch ein schimmerndes Kaleidoskop von Tränen hindurch an. »Danke«, flüsterte sie und legte ihre Hand auf die seine.
Balthazar Jones hatte sein Zuhause nach der Arbeit nicht mehr verlassen wollen, aber das Obergeschoss des Salt Towers war nicht mehr das Heiligtum von einst, und nachdem er eine Stunde lang zusammengesunken auf dem Sofa gesessen hatte, stand er auf und machte sich auf den Weg zu den Zinnen. Als er jedoch voranschritt und seine Hände wegen der Kälte in den Taschen vergrub, musste er feststellen, dass seine Probleme ihn verfolgten. Er blieb stehen und betrachtete die Tower Bridge, die wie eine Kirmesattraktion in der Dunkelheit leuchtete, aber seine Probleme waberten wie Nebel um ihn herum, und er musste schnell weitergehen. Egal, wie zügig er marschierte, er konnte sie nicht abschütteln.
Irgendwann flüchtete er ins Rack & Ruin. Er schob die große Eichentür auf und blieb einen Moment lang auf den ausgetretenen Steinplatten stehen, weil er sich fragte, ob er die Anwesenheit so vieler Menschen ertragen würde. Schließlich entdeckte er einen leeren Tisch neben der Vitrine mit den Beefeater-Devotionalien, bestellte an der Theke ein Ale und hoffte, dass ihn niemand bemerken würde. Als er aber auf sein Getränk wartete, drehte sich einer der Beefeater dort zu ihm um und sagte: »Tut mir leid, die Sache mit Ihrer Frau.«
Er nahm sein Pint mit zu seinem Tisch,
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