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Der verborgene Charme der Schildkröte

Titel: Der verborgene Charme der Schildkröte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Stuart
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zog die schwarzen Lederhandschuhe an und folgte ein paar Minuten später nach. Beim Gestank des Zorillas drehte sich ihm erneut der Magen um. Als er die Festung durchquerte, die für die Touristen noch geschlossen war, ärgerte er sich maßlos darüber, dass die Tiere der Königin im Tower untergebracht waren. Dies plagte ihn sogar mehr als sein Sodbrennen. Seit der Eröffnung der Menagerie hatten die Besucher kaum noch Interesse an den Raben gezeigt, obwohl seine Vögel mit dem bekannt legendären Stammbaum aufwarten konnten und ihre Intelligenz erwiesenermaßen an die von Affen und Delfinen heranreichte. Oft hatte er sich im Rack & Ruin über die königlichen Viecher beklagt, und die Süße des Orangensafts hatte die Bitterkeit seiner Worte nicht abmildern können. Leider fand er selten die erhoffte Bestätigung. Trotz anfänglicher Bedenken hatten die meisten Beefeater nämlich Zuneigung zu den Tieren gefasst, verführt vom atemberaubenden Appetit des Vielfraßes, der Weichheit des Kurzkopfgleitbeutlers, der in ihren Armen einschlief, den tollen Streichen der zahmen Wanderratten, denen Ruby Dore beigebracht hatte, winzige Fässer durch die Schenke zu rollen, und dem Charme der blaugesichtigen Herzogin von York, die auf ihren Schoß kletterte und mit der Gnadenlosigkeit einer professionellen Entlauserin ihre Kopfhaut durchforstete.
    Ein Wolkenbruch zwang den Rabenmeister zu einem uneleganten Laufschritt, und er beugte sich vor, damit es ihm nicht in den Kragen regnen konnte. Plötzlich ließ ihn der Anblick eines Körpers auf dem Fleck erstarren. Ungläubig lief er hin und stieß dann ein Stöhnen aus. Während die Wassermassen auf seinen Rücken trommelten, kniete er sich ins Gras, hob den Raben aus einem Haufen blutiger Federn und suchte nach einem Lebenszeichen, aber der Hals des Vogels sank nach hinten, und trotz des Regens zwinkerten die glasigen Augen nicht ein einziges Mal. Schnell lief er mit dem Raben nach Hause, legte ihn auf den Esstisch und begann hektisch mit der Mund-zu-Mund-Beatmung.
    Als Balthazar Jones nach Hause trottete und die ziemlich gewöhnliche Regenart in dicken Tropfen von seiner Hutkrempe herabtroff, sah er den Rabenmeister in der Ferne davonlaufen und fragte sich, was er wohl vorhatte. Am Abend zuvor, als er sich endlich dazu aufgerafft hatte, Wäsche zu waschen, hatte er auch das Wams genommen und das Etikett eines vom Rabenmeister überaus geschätzten Herrenausstatters darin entdeckt. Eine ganze Zeitlang hatte er neben der Waschmaschine gestanden und sich gefragt, wie die Unterwäsche des Mannes wohl auf die Treppe des Brick Towers gekommen sein mochte. Irgendwann aber hatte ihn ein Stück verschrumpelte Karotte auf dem Fußboden abgelenkt, und er hatte sich erneut auf die vergebliche Suche nach Mrs. Cook gemacht.
    Die Ikea-Tüte mit der Steckrübe für das Bartschwein in der Hand, machte sich der Beefeater nun zum Bowyer Tower auf, wo er die Helmbasilisken füttern wollte. Im Treppenhaus grüßte ihn eine der mürrischen Pressefrauen, die ihr komfortables Büro im Erdgeschoss hatten aufgeben müssen, damit man die hellgrünen Reptilien dort unterbringen konnte. Da sie nunmehr einen Groll gegen den Präsidenten von Costa Rica hegten, hatten sie in ihrer beengten Behausung im ersten Stock das Kaffeetrinken verboten. Und nicht genug damit, dass sie auf unwürdige Weise ihre Schreibtische hatten umräumen müssen, die drei Frauen hatten nun auch noch unter dem fast unaufhörlichen Geklingel ihres Telefons zu leiden, weil aus der gesamten Welt Anfragen zur neuen Tower-Menagerie eingingen.
    »Ah, Yeoman Warder Jones. Ich hatte schon gehofft, Sie zu treffen«, sagte die Frau, die einen rosafarbenen Kaschmirschal trug. »Wir haben einen Anruf aus Argentinien bekommen. Dort fragt man sich, wo die Felsenpinguine abgeblieben sind.«
    Der Beefeater kratzte sich den nassen Bart. »Die sind beim Tierarzt«, antwortete er.
    »Immer noch?«, erkundigte sie sich.
    Balthazar Jones nickte.
    »Das habe ich der Person auch gesagt, aber sie schien mir nicht zu glauben«, erwiderte die Pressefrau.
    Der Beefeater schaute in die Ferne. »Pinguine sollte man nicht hetzen«, erklärte er.
    »Aha. Dann haben wir noch eine Anfrage von der Catholic Times . Die möchten wissen, warum die Helmbasilisken auch unter dem Namen Jesus-Echse bekannt sind.«
    »Weil sie im Notfall auf dem Wasser laufen können«, sagte er.
    Das ließ sie vorerst verstummen.
    »Dann noch etwas. Wir hatten eine ganze Menge Anrufe wegen der

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