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Der verborgene Charme der Schildkröte

Titel: Der verborgene Charme der Schildkröte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Stuart
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Gigolos zurück und schob es mit spitzen Fingern über den Tresen.
    »Sie haben es aber nicht gelesen, nicht wahr?«, fragte der Mann, als er es in die Tasche steckte.
    »Um Gottes willen, nein«, antwortete sie.
    Nachdem sie sich gründlich die Hände gewaschen hatte, kehrte sie an ihren Schreibtisch zurück, nahm den Telefonhörer und wählte die nächste Nummer auf ihrer Liste. »Spreche ich mit Sandra Bell?«, fragte sie.
    »Ja.«
    »Mein Name ist Mrs. Jones. Ich hätte gern gewusst, ob Sie mal mit Granatapfelbaumholz gearbeitet haben.«
    »Ja, schon. Aber leider ist nichts mehr davon übrig.«
    Hebe Jones erklärte, wer sie war und dass sie versuche, den Besitzer einer Urne aus diesem seltenen Holz ausfindig zu machen.
    »Ich habe aus diesem Holz tatsächlich eine Kiste angefertigt, aber ich weiß nicht, wofür sie sein sollte«, antwortete die Frau. »Der Herr hat mir nur die Maße genannt, und ich habe angefangen, sobald ich das Holz aufgetrieben hatte. Es ist nämlich nicht so leicht zu beschaffen. Wenn Sie mögen, kann ich versuchen, Kontakt zu ihm aufzunehmen.«
    Gott lässt uns zappeln, aber er vergisst uns nicht, dachte Hebe Jones, als sie den Hörer auflegte. Sie schaute zu Valerie Jennings hinüber, die neben der aufblasbaren Puppe stand und ihren Mantel anzog.
    »Ich geh nur mal schnell zur dänischen Gemeinde«, sagte sie und knöpfte sich den Mantel zu.
    Hebe Jones hatte das selbst vorgeschlagen, nachdem Valerie Jennings in ihren Bemühungen, den Besitzer des Safes ausfindig zu machen, in eine Sackgasse geraten war. Sämtliche Papiere, die sie in dem Umschlag gefunden hatte, waren mit Niels Reinking unterzeichnet gewesen. Bei der Schifffahrtsgesellschaft, deren Adresse auf dem Umschlag stand, war ihr mitgeteilt worden, dass er die Firma verlassen habe und man grundsätzlich keine Auskunft über das Personal erteile. Und nachdem auch der Blick ins Telefonbuch vergeblich gewesen war, hatte Hebe Jones darauf hingewiesen, dass Reinking ein dänischer Name sei.
    »Ich glaube, ich habe noch nie in meinem Leben einen Dänen getroffen«, sagte Valerie Jennings.
    »Ich auch nicht«, sagte Hebe Jones und erzählte, dass im Haushalt ihrer Mutter dänischer Schinkenspeck strengstens verboten gewesen sei, weil sich die Dänen den Nazis nach nur zwei Stunden Besatzung ergeben hatten. Schließlich schlug sie vor, es bei der dänischen Gemeinde im Regent’s Park zu versuchen. »Man weiß ja nie, vielleicht hat irgendjemand etwas gehört.«
    Bevor Valerie Jennings das Büro verließ, legte sie noch eine Schicht zartlila Lippenstift auf, weil sie hoffte, auf dem Weg die Treppe hinauf Arthur Catnip zu begegnen. Leider war es kein tätowierter Fahrkartenkontrolleur, sondern nur die Enttäuschung, die sie ins Freie begleitete. Wieder fragte sie sich, warum sie seit ihrem zweiten gemeinsamen Mittagessen nichts mehr von ihm gehört hatte, und schalt sich eine Idiotin, weil sie in ihrer antarktischen Stiefelgeschichte Edgar und Teddy Evans miteinander verwechselt hatte. Als sie sich der dänischen Kirche näherte, verfluchte sie sich und sämtliche Eroberer, einschließlich ihres vermaledeiten Schuhwerks.
    In der Annahme, dass Gott, wenn er Dänisch sprach, auch die Qualen eingezwängter Fußballen kennen würde, zog sie ihre Schuhe aus und ließ sie neben dem Schirmständer stehen. Sie tappte durch den kalten Mittelgang und war froh, dass sich kein Zeh durch die Strumpfhose gebohrt hatte. Am Altar blieb sie stehen und blickte sich um, aber es war kein Lebenszeichen zu sehen, also setzte sie sich in eine Bank, um ihre Füße ein wenig zu entlasten. Sie schlug das Faltblatt auf, das sie vom Tisch am Eingang mitgenommen hatte, und studierte das Angebot an Gottesdiensten für die dänischen Seeleute. Sofort kehrten ihre Gedanken wieder zu Arthur Catnip zurück, und sie fragte sich, ob er in Übersee wohl auch englische Kapellen aufgesucht hatte, falls es so etwas gab. Gerade als sie sich aufraffen wollte, wieder aufzustehen, öffnete sich eine Seitentür, und ein Pfarrer in Jeans und rotem Pulli kam herein.
    »Sie haben Glück, normalerweise ist die Kirche um diese Tageszeit gar nicht geöffnet. Ich bin nur schnell vorbeigesprungen, um ein bisschen Papierkram zu holen«, sagte er, setzte sich neben sie und schaute auf ihre Füße hinab. Valerie Jennings folgte seinem Blick und erklärte dann schnell, dass sie im Fundbüro der Londoner Untergrundbahn arbeite und etwas gefunden habe, das einem gewissen Niels Reinking gehöre.

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