Der verborgene Charme der Schildkröte
diesen Zweck gebaut hatte, kitzelte er sein Fell mit einer von den Tukanen abgeworfenen Feder. Zum beiderseitigen Vergnügen spielten sie noch ein bisschen Verstecken, dann fütterte er es mit frischem Obst, bis es schließlich in seinen Händen einschlief.
Er überließ die Nachttiere ihren Träumen und begab sich zur Hausnummer sieben an den Grünanlagen des Towers. Von dort schaute er zur Wetterfahne des White Towers hinauf, sah den Fledermauspapagei als winzigen Punkt kopfüber im Wind hin und her schaukeln und wandte sich enttäuscht ab. Im selben Moment spürte er, dass auf seiner Schulter etwas landete, in dem er unschwer Papageiendreck erkennen konnte. Während er sich seinen Weg durch die mittlerweile hereindrängenden Touristenmassen bahnte, rieb er wütend mit einem Taschentuch an seiner Uniform herum. Er klopfte an die blaue Tür und inspizierte, während er wartete, die Wolken. Einige Augenblicke später klopfte er noch einmal. In der Annahme, dass der Yeoman Gaoler zu Hause sein musste, nahm er seinen Hut ab, beugte sich hinab und lugte durch den Briefkastenschlitz. Der Mann saß im Schlafanzug auf der untersten Treppenstufe und hatte den Kopf in die Hände gestützt. Langsam schoben sich seine Finger auseinander, und zwei Augen schauten Balthazar Jones an.
»Machen Sie die Tür auf. Ich habe ein paar Heuschrecken für die Etruskerspitzmaus«, rief der Beefeater.
Der Yeoman Gaoler kam auf den Briefkasten zu und beugte sich ebenfalls hinab.
»Stecken Sie sie einfach durch den Schlitz«, antwortete er.
Der Beefeater steckte die Plastiktüte in den Schlitz, aber plötzlich packte ihn ein Verdacht. Schnell riss er sie wieder heraus und erklärte: »Ich denke, es ist leichter, ich würde sie Ihnen einfach geben. Sie scheint nicht durchzupassen.«
Der Yeoman Gaoler öffnete die Tür gerade einmal weit genug, um seine Hand hinausstrecken zu können. Balthazar Jones ignorierte die plumpen Finger und drückte die Tür mit der Schulter auf. »Wenn es Ihnen recht ist, würde ich gerne schnell mal nach der Spitzmaus schauen, wenn ich schon einmal hier bin.«
Sobald sich Balthazar Jones nach einem wenig vornehmen Gerangel am Yeoman Gaoler vorbeigeschoben hatte, ging er schnurstracks durch den Flur in die Küche. Er legte seinen Hut auf den Tisch, öffnete den Käfig und nahm den Deckel vom Plastikhäuschen. Dann stupste er das Wesen leicht an. Es rührte sich nicht. Er stupste es noch einmal an, aber es war zwecklos.
Er wandte sich zum Yeoman Gaoler um und fragte: »Haben Sie eine Ahnung, warum sie sich nicht bewegt?«
Die Augen des Yeoman Gaoler schossen zur anderen Seite des Raums, dann richteten sie sich mit einem Ausdruck unendlicher Unschuld wieder auf seinen Besucher. »Vielleicht macht sie ein Nickerchen«, sagte er.
Der Wärter der Königlichen Menagerie langte in den Käfig, zog das Wesen am Schwanz heraus und hielt es dem Mann vor die Nase, wo es leblos wie das Pendel eines Hypnotiseurs hin und her schwang.
»Wann ist sie also gestorben?«, fragte Balthazar Jones.
Der Yeoman Gaoler setzte sich, fuhr sich mit der Hand durchs Haar und gestand, dass sie sich schon fast eine Woche lang nicht mehr gerührt hatte. Schweigend schauten die beiden Männer auf den steifen Körper.
»Wir werden den Leuten einfach sagen, dass sie Winterschlaf hält«, beschloss Balthazar Jones. »Und in der Zwischenzeit werden Sie sich wohl nach einem Ersatz umsehen müssen.«
Der Yeoman Gaoler schaute ihn verzweifelt an. »Ich glaube nicht, dass es in England Etruskerspitzmäuse gibt«, sagte er, aber Balthazar Jones ignorierte ihn und verließ das Haus.
Als er zum Festungsgraben ging, um die anderen Tiere zu füttern, dachte der Beefeater daran, wie er das Geschenk des Präsidenten von Portugal abgeholt und zu den Klängen von Phil Collins’ Love Songs unendlich langsam durch die Stadt kutschiert hatte. Er dachte an den Abend, da es ohne Hebe Jones’ Wissen ganz oben im Salt Tower auf dem Tisch gestanden hatte und er darüber nachgedacht hatte, wem er das Tier anvertrauen sollte. Dann dachte er an die samtige Schnauze, die nicht mehr geschnuppert hatte, als sie vor dem Gesicht des Yeoman Gaoler hin und her gependelt war. Und nicht einmal die riesige Besucherschlange, die vor dem Tower wartete, um die exotischen Tiere Ihrer Majestät anzuschauen, konnte seine Stimmung heben.
Rev. Septimus Drew füllte im Badezimmer die orangefarbene Gießkanne und trug sie in die Werkstatt, die er für die Ausrottung von rattus
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