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Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden

Titel: Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Morton
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sehen, weil alles von Ranken überwuchert war, aber sie konnte gerade eben noch den steinernen Kopf der Statue des kleinen Jungen erkennen.
    Nell stützte sich auf die Fensterbank und spürte das vom Salz
aufgeraute Holz unter ihren Händen. Inzwischen war sie sich ganz sicher, dass sie als Kind in diesem Haus gewesen war. Genau hier an dieser Stelle hatte sie schon gestanden, in diesem Zimmer, und hatte auf das Meer hinausgeschaut. Sie schloss die Augen und versuchte, ihre Erinnerungen deutlicher heraufzubeschwören.
    Ein Bett hatte an der Stelle gestanden, wo sie sich jetzt befand, ein schmales, einfaches Bett mit Messingrahmen und Knöpfen an den Kopf- und Fußteilen, die lange nicht poliert worden waren. Von der Decke hing ein trichterförmiges Netz, weiß wie der Nebel am fernen Horizont, wenn ein Sturm das Meer aufpeitschte. Eine Steppdecke, kühl unter ihren Knien, Fischerboote, die auf den Wellen schaukelten, Blütenblätter im Gartenteich.
    An dieser Dachgaube zu sitzen, war so, als würde man an einer hohen Klippe hängen, so wie die Prinzessin in einem ihrer Lieblingsmärchen, die in einen Vogel verwandelt worden war und in ihrem schaukelnden goldenen Käfig hockte …
    Von unten drangen Stimmen zu ihr herauf, die lauter geworden waren. Ihr Papa und die Autorin.
    Ihr Name, Ivory, scharf und kantig wie ein mit spitzer Schere aus Pappkarton ausgeschnittener Stern. Ihr Name als Waffe.
    Böse Worte wurden hin und her geschleudert. Warum schrie Papa die Autorin an? Papa, der sonst nie ein lautes Wort von sich gab.
    Das kleine Mädchen hatte Angst, wollte das alles nicht hören.
    Aber Nell presste die Augen fester zu und versuchte die Worte zu verstehen.
    Das kleine Mädchen hielt sich die Ohren zu, sang in Gedanken Lieder, erzählte Geschichten, dachte an den goldenen Käfig, der an der Klippe hing, an die Vogelprinzessin, die in dem Käfig hockte und wartete.
    Nell bemühte sich, das Kinderlied auszublenden, das Bild von dem goldenen Käfig. In den kalten Tiefen ihrer Erinnerung lauerte
die Wahrheit, wartete darauf, dass Nell sie zu packen bekam und ans Tageslicht zerrte …
    Aber nicht heute. Sie öffnete die Augen. Der Tang war zu glitschig, das Wasser zu trüb.
    Nell stieg über die enge Treppe wieder nach unten.
    Die Maklerin verriegelte das Tor, dann gingen sie schweigend den Weg hinunter zu der Stelle, wo sie den Wagen geparkt hatten.
    »Und? Wie gefällt es Ihnen?«, fragte die Frau beiläufig, als wüsste sie die Antwort auf die Frage im Voraus.
    »Ich möchte es kaufen.«
    »Vielleicht kann ich Ihnen noch ein anderes …« Die Frau, die gerade das Auto hatte aufschließen wollen, blickte verblüfft auf. »Sie wollen es kaufen?«
    Nell schaute noch einmal auf das stürmische Meer hinaus, betrachtete den nebelverhangenen Horizont. Für ihren Geschmack konnte das Wetter ruhig ab und zu ein bisschen rau werden. Wenn die Wolken tief hingen und Regen drohte, fühlte sie sich geheilt. Dann konnte sie tiefer atmen, klarer denken.
    Sie hatte keine Ahnung, wie sie das Haus bezahlen sollte, was sie würde verkaufen müssen, um den Kaufpreis aufzubringen. Aber sie zweifelte keinen Augenblick daran, dass sie es besitzen musste. Sie wusste es seit dem Moment, als sie sich an das kleine Mädchen am Fischteich erinnert hatte, an das kleine Mädchen, das sie in einem anderen Leben gewesen war.
     
     
     
    Während der ganzen Fahrt zurück zum Tregenna Inn versicherte die Immobilienmaklerin ihr immer wieder atemlos, sie würde den Kaufvertrag bringen, sobald sie ihn aufgesetzt hatte. Sie konnte Nell auch einen guten Notar empfehlen. Nell schlug die Wagentür zu und betrat das Foyer. Sie war so sehr damit beschäftigt, die Zeitdifferenz auszurechnen - musste sie drei Stunden abziehen oder addieren? - und zu überlegen, wann sie bei
ihrer Bank anrufen konnte, um ihrem Sachbearbeiter zu erklären, warum sie sich aus heiterem Himmel entschlossen hatte, in Cornwall ein Haus zu kaufen, dass sie die Person, die auf sie zukam, erst sah, als sie fast mit ihr zusammenstieß.
    »Oh, Verzeihung«, sagte Nell und blieb wie angewurzelt stehen.
    Robyn Martin blinzelte hinter ihrer Brille.
    »Haben Sie auf mich gewartet?«, fragte Nell.
    »Ich hab Ihnen was mitgebracht.« Robyn reichte Nell ein paar zusammengetackerte Blätter. »Das sind die Informationen, die ich für meinen Artikel über die Familie Mountrachet zusammengetragen habe.« Sie trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. »Ich hab gehört, wie Sie Gump nach der

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