Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
denen ich in
die Schlacht ziehen kann! Und ausnahmsweise sind Mama und ich mal einer Meinung, auch wenn wir keineswegs denselben Geschmack haben! Sie macht mich immer wieder auf einen bestimmten Gentleman aufmerksam, den sie für eine gute Partie hält, und bringt mich manchmal in eine ziemlich peinliche Lage. Aber genug - ich fürchte, ich strapaziere Deine Geduld, liebste Cousine, wenn ich mich zu lange mit solchen Themen aufhalte.
Also zurück zum Schiff. Ich unternehme immer wieder gewisse Erkundungstouren, die meine Eliza mit Stolz erfüllen würden. Gestern Morgen ist es mir gelungen, Mama für einen Augenblick zu entkommen und eine wunderbare Stunde im Dachgarten zu verbringen. Dort musste ich an Dich denken, meine Liebste. Wie würdest Du staunen, wenn Du sehen könntest, dass solche Pflanzen auf einem Schiff wachsen. Überall stehen Pflanzkübel mit Bäumen und wunderschönen Blumen. Es war ein beglückendes Gefühl, zwischen all dem Grün zu sitzen (niemand kennt die heilende Kraft eines Gartens besser als ich), und ich habe mich ganz selig meinen Tagträumen hingegeben. (Du wirst Dir sicherlich vorstellen können, auf welchen Traumpfaden ich gewandelt bin …)
Ach, und wie sehr wünschte ich mir, Du hättest nachgegeben und uns begleitet, Eliza. Ich erlaube mir, diesbezüglich einen kurzen, wenn auch liebevollen Tadel auszusprechen, denn ich kann es einfach nicht verstehen. Schließlich hast Du damals als Erste davon gesprochen, dass wir beide vielleicht eines Tages gemeinsam nach Amerika reisen würden, um die Wolkenkratzer von New York und die Freiheitsstatue mit eigenen Augen zu sehen. Ich begreife nicht, warum Du die Gelegenheit nicht beim Schopf gepackt, sondern Dich stattdessen entschieden hast, auf Blackhurst zu bleiben, wo nur Vater Dir Gesellschaft leistet. Du bist und bleibst mir ein Rätsel, meine Teuerste, aber ich kenne Dich zu gut, um mich noch mit Dir zu streiten, nachdem Du einmal einen Entschluss gefasst hast, meine liebe, dickköpfige Eliza. Ich möchte Dir nur sagen, dass Du mir jetzt schon fehlst und dass ich mir oft ausmale, was wir alles
zusammen aushecken könnten, wenn Du hier bei mir wärst. (Die arme Mama würde einen Nervenzusammenbruch bekommen!) Es ist seltsam, mir vorzustellen, dass es einmal eine Zeit gegeben hat, als ich Dich noch nicht kannte, so sehr kommt es mir vor, als wären wir beide schon immer Freundinnen und die Zeit auf Blackhurst vor deiner Ankunft nicht mehr als eine schreckliche Wartezeit gewesen.
Ah, Mama ruft nach mir. Offenbar erwartet man uns mal wieder im Speisesaal. (Die Mahlzeiten, Eliza! Ich muss zwischen den Mahlzeiten jedes Mal einen Spaziergang an Deck machen, um mich zu erholen und mich für die nächste Sitzung zu wappnen!) Zweifellos ist es Mama gelungen, den Grafen von Soundso oder den Sohn eines reichen Industriellen für mich als Tischherrn zu angeln. Die Pflichten einer Tochter sind nie getan, und in einem Punkt muss ich ihr recht geben: Wenn ich mich nicht zeige, werde ich den mir von meinem Schicksal bestimmten Mann niemals finden.
Damit verabschiede ich mich also von Dir, meine liebste Eliza, und ich versichere Dir: Auch wenn Du nicht in Fleisch und Blut bei mir bist, so begleitest Du mich doch stets in meinem Herzen. Wenn ich die Freiheitsstatue zum ersten Mal sehe, die berühmte Dame, die über ihren Hafen wacht, dann werde ich die Stimme meiner Cousine Eliza hören, die mir zuruft: »Schau sie dir gut an und denk daran, was sie schon alles gesehen hat!«
Deine dich liebende Cousine Rose
Eliza umklammerte das in braunes Papier gewickelte Päckchen. Sie stand vor der Tür des Gemischtwarenladens in Tregenna und schaute zu, wie die dunkelgraue Wolkendecke sich über den Wasserspiegel legte. Nebel am Horizont kündete von einem Gewitter über dem Meer, und im Ort waren die ersten zaghaften Wassertröpfchen in der Luft zu spüren. Eliza hatte keine Tasche mitgenommen,
denn beim Verlassen des Hauses hatte sie gar nicht vorgehabt, ins Dorf zu gehen. Erst im Laufe des Vormittags hatte die Geschichte sich ihr aufgedrängt und verlangt, niedergeschrieben zu werden. Die fünf letzten leeren Seiten in ihrem Notizbuch hatten dafür bei Weitem nicht ausgereicht, und so war sie ins Dorf gegangen, um sich ein neues zu kaufen.
Eliza betrachtete noch einmal den düsteren Himmel, dann machte sie sich eilig auf den Weg am Hafen entlang. Als sie die Stelle erreichte, wo die Straße sich gabelte, nahm sie den schmalen Küstenpfad. Davies hatte ihr
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