Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden

Titel: Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Morton
Vom Netzwerk:
Federmesser.
    Nell überprüfte die Seitenzahlen. Nach fünfundfünfzig ging es gleich bei einundsechzig weiter.
    Es fehlte ein komplettes Märchen …

    DAS GOLDENE EI
Von Eliza Makepeace
     
     
    Vor langer, langer Zeit, als Suchen noch dasselbe wie Finden bedeutete, lebte einmal eine Jungfrau in einer winzigen Hütte am Rand eines großen, blühenden Königreichs. Die Jungfrau war arm, und ihre Hütte lag tief im Wald versteckt. Einst hatten die Menschen von der kleinen Hütte mit dem gemauerten Kamin gewusst, aber die waren längst gestorben, und Mutter Zeit hatte einen Schleier des Vergessens über die Hütte gelegt. Bis auf die Vögel, die auf ihrem Fenstersims sangen, und die Waldtiere, die an ihrem Feuer Wärme suchten, war die Jungfrau allein. Und doch fühlte sie sich nie einsam oder unglücklich, sie hatte einfach zu viel zu tun, um sich nach Gesellschaft zu sehnen, die sie nie gehabt hatte.
    Denn in der Hütte, verborgen hinter einer besonderen Tür mit einem blank polierten Schloss, befand sich ein wertvoller Gegenstand. Es war ein goldenes Ei mit einem so wundersamen Glanz, der alle, die es erblickten, sogleich erblinden ließ. Das goldene
Ei war so alt, dass niemand mehr sein Alter kannte, und die Familie der Jungfrau war seit Generationen damit beauftragt, es zu hüten.
    Die Jungfrau akzeptierte diese Verantwortung fraglos als ihr Schicksal. Das Ei musste gehütet werden, und niemand durfte von seiner Existenz erfahren. Vor vielen, vielen Jahren, kurz nach der Gründung des Königreichs, waren um den Besitz des Eis Kriege geführt worden, denn der Legende nach besaß es Zauberkräfte, die seinem Besitzer jeden Wunsch erfüllten.
    Und so wachte die Jungfrau über das goldene Ei. Tagsüber saß sie mit ihrem Spinnrad am Fenster und sang mit den Vögeln, die ihr bei der Arbeit zusahen. Nachts gewährte sie ihren Freunden unter den Tieren Schutz und gab ihnen in der Wärme der Hütte ein Nachtlager. Und nie vergaß sie, dass es nichts Wichtigeres gab, als sein Geburtsrecht zu schützen.
    Es begab sich aber, dass weit, weit weg im Königsschloss eine Prinzessin lebte, die brav und anmutig, aber sehr unglücklich war. Sie war schwach und krank, und die Königin hatte im ganzen Land nach Heilmitteln und Zaubertränken suchen lassen, doch nichts konnte die Prinzessin gesund machen. Im Königreich wurde gemunkelt, ein böser Apotheker hätte die Prinzessin bei ihrer Geburt mit einem Fluch belegt, aber niemand wagte, so etwas laut auszusprechen. Denn die Königin war eine grausame Herrscherin, deren Zorn ihre Untertanen zu Recht fürchteten.
    Aber die Prinzessin war der Königin Ein und Alles. Jeden Morgen trat sie an das Bett ihrer Tochter, und jeden Morgen bot sich ihr derselbe Anblick: Die Prinzessin war bleich, schwach und erschöpft. »Ach, Mutter«, flüsterte sie, »ich möchte so gern im Schlossgarten spazieren gehen, in den Springbrunnen baden und auf den Bällen im Schloss tanzen. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als gesund zu sein.«
    Die Königin besaß einen Spiegel, in dem sie sehen konnte, was in ihrem Reich vor sich ging. Jeden Tag fragte sie aufs Neue:

    »Spieglein mein, Spieglein mein, wer kann beenden meiner Tochter Pein?«
    Und jeden Tag erhielt sie dieselbe Antwort: »Niemand, oh Königin, im ganzen Land, kann ihr helfen mit heilender Hand.«
    Eines Tages war die Königin so verzweifelt über den Anblick ihrer Tochter, dass sie vergaß, dem Spiegel ihre gewohnte Frage zu stellen. Sie weinte und schluchzte und sagte: »Spieglein mein, ach sag mir an, wie ich meiner Tochter Herzenswunsch erfüllen kann!«
    Der Spiegel antwortete nicht gleich, doch auf einmal entstand in seiner Mitte ein Bild von einer ärmlichen Hütte mitten im tiefen Wald. Rauch quoll aus dem kleinen Schornstein, und am Fenster saß eine Jungfrau an einem Spinnrad und sang mit den Vögeln.
    »Was zeigst du mir da?«, fragte die Königin verwundert. »Ist diese junge Frau eine Heilerin?«
    Mit tiefer, ernster Stimmer antwortete der Spiegel: »Im tiefen Wald am Rand des Königreichs steht eine kleine Hütte. In der Hütte befindet sich ein goldenes Ei, das seinem Besitzer jeden Wunsch erfüllt. Die Jungfrau am Fenster ist die Hüterin des Eis.«
    »Wie kann ich das Ei von ihr bekommen?«, fragte die Königin.
    »Was die Jungfrau tut, tut sie zum Wohl des Königreichs«, antwortete der Spiegel. »Es wird nicht leicht sein, sie zur Herausgabe des Eis zu bewegen.«
    »Was muss ich tun?«
    Aber der Spiegel war verstummt, und

Weitere Kostenlose Bücher