Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
das Bild von der Hütte verschwand. Die Königin reckte ihr Kinn vor und schaute ihrem Spiegelbild in die Augen, bis sich ein Lächeln auf ihren Lippen bildete.
Am nächsten Tag bei Morgengrauen ließ die Königin die Zofe der Prinzessin zu sich rufen. Das Mädchen lebte seit seiner Geburt im Königreich und war eine treue Dienerin, die alles tun würde, um die Prinzessin glücklich zu machen. Die Königin trug ihr auf, das goldene Ei herbeizuschaffen.
Und so machte die Zofe sich auf den Weg ans Ende des Königreichs. Drei Tage und drei Nächte lang wanderte sie gen Osten, und als sich am dritten Abend die Dämmerung über das Land legte, erreichte sie den Waldrand. Sie stieg über abgefallene Äste und kämpfte sich durch Dornengestrüpp, bis sie schließlich eine Lichtung erreichte. Und in der Mitte der Lichtung stand eine kleine Hütte, aus deren Schornstein lieblich duftender Rauch quoll.
Die Zofe klopfte an und wartete. Nach einer Weile ging die Tür auf, und eine Jungfrau stand vor ihr, die, obwohl sie sich über den Besuch wunderte, freundlich lächelte und die Zofe eintreten hieß. »Du bist müde von der weiten Reise«, sagte die Jungfrau. »Komm und wärme dich an meinem Herd.«
Die Zofe betrat die Hütte und nahm auf einem Kissen vor dem Feuer Platz. Nachdem die Jungfrau ihr eine Schüssel mit heißer Brühe gebracht hatte, setzte sie sich still an ihr Spinnrad. Das Feuer knisterte im Kamin, und die Wärme in der Hütte machte die Zofe schläfrig. Der Wunsch zu schlafen war so übermächtig, dass die Zofe beinahe ihren Auftrag vergessen hätte, wenn die Jungfrau nicht gesagt hätte: »Du bist in meiner Hütte willkommen, Fremde, aber verzeih mir, wenn ich frage, was dich hierherführt.«
»Die Königin hat mich geschickt«, antwortete die Zofe. »Sie braucht deine Hilfe, damit ihre Tochter, die Prinzessin, wieder gesund wird.«
Die Jungfrau hatte schon von den Waldvögeln von der schönen, guten Prinzessin gehört, die im Schloss wohnte. »Ich werde tun, was ich kann«, sagte sie. »Auch wenn ich nicht verstehe, warum die Königin nach mir schickt, denn ich bin keine Heilerin.«
»Die Königin hat mir befohlen, ihr etwas zu bringen, was sich in deiner Obhut befindet«, sagte die Zofe. »Einen Gegenstand, der seinem Besitzer jeden Wunsch erfüllt.«
Da wusste die Jungfrau, dass die Zofe von dem goldenen Ei sprach. Traurig schüttelte sie den Kopf. »Ich tue alles, um der Prinzessin zu helfen, nur eins nicht, nämlich, worum du mich bittest.
Das goldene Ei zu hüten, ist mein Geburtsrecht, und es gibt nichts, was wichtiger ist. Heute Nacht gewähre ich dir Unterkunft und Schutz vor der Kälte und den Gefahren des Waldes, aber morgen früh musst du zurückkehren und der Königin berichten, dass ich das goldene Ei nicht herausgeben darf.«
Am nächsten Tag machte die Zofe sich auf den Weg zurück. Sie wanderte drei Tage und drei Nächte, bis sie das Schloss erreichte, wo die Königin sie schon ungeduldig erwartete.
»Wo ist das goldene Ei?«, verlangte die Königin zu wissen, als sie die leeren Hände der Zofe erblickte.
»Ich konnte meinen Auftrag nicht erfüllen«, antwortete die Zofe, »denn die Jungfrau in der Hütte hat sich auf ihr Geburtsrecht berufen.«
Die Königin richtete sich zu voller Größe auf, und ihr Gesicht wurde dunkelrot. »Du wirst noch einmal zurückkehren«, sagte sie und zeigte mit ihrem langen Finger auf die Zofe, »und der Jungfrau erklären, dass es ihre Pflicht ist, dem Königreich zu dienen. Wenn sie sich weigert, soll sie zu Stein erstarren und auf ewig als Standbild im königlichen Hof stehen.«
Und so machte die Zofe sich erneut auf den Weg gen Osten, wanderte drei Tage und drei Nächte, bis sie wieder vor der Tür der kleinen Hütte stand. Sie klopfte an und wurde von der Jungfrau mit einer Schüssel heißer Brühe empfangen. Wieder saß die Jungfrau an ihrem Spinnrad, während die Zofe ihre Suppe aß. Dann sagte sie: »Du bist in meiner Hütte willkommen, Fremde, aber verzeih mir, wenn ich dich frage, was dich hierhergeführt hat.«
»Die Königin hat mich abermals geschickt«, antwortete die Zofe. »Sie braucht deine Hilfe, damit ihre Tochter, die Prinzessin, wieder gesund wird. Es ist deine Pflicht, dem Königreich zu dienen. Wenn du dich weigerst, so sollst du zu Stein erstarren und auf ewig als Standbild im königlichen Hof stehen.«
Die Jungfrau lächelte traurig. »Das goldene Ei zu hüten, ist mein Geburtsrecht«, sagte sie. »Ich darf es nicht
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