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Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Titel: Der verborgene Hof: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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vorsichtig. Bald konnte ich erkennen, dass sie menschlich waren oder wenigstens von menschlicher Gestalt. Mein Atem kam so langsam, dass er fast aussetzte.
    Der Fremde hielt zwei Schritte vor mir an. Ich nahm meine letzte Kraft zusammen und trat so nah zu ihm, das wir uns hätten küssen können – und drückte ihm mein Messer an die Kehle.
    »Wer bist du?«, knurrte ich, bereit, die Klinge blitzschnell über seine Kehle zu ziehen.
    »H … hast du hier einen Gott gesehen?«
    Bei allen Dämonen des fernen Avedega, ich kannte diese Stimme. »Septio?«, flüsterte ich.
    »Ja.«
    Ich konnte hören, wie er wütend zu werden begann. Ich konnte es riechen. »Dieses hautlose Ungeheuer gehört zu dir?«
    Er stieß das Messer zur Seite. Ich wehrte ihn nicht ab. »Was ist geschehen?«, fragte er. »Wer bist du?«
    »Ich bin Green. Und deine … Kreatur … hat meine Tanzmistress entführt.« Ich hätte ihm am liebsten mein Messer in den Leib gestoßen. Ich hielt an mich.
    Er musste mein Verlangen aus meinem Tonfall herausgehört haben, denn die Schroffheit schwand aus seiner Stimme, als er antwortete: »Dann kann ich ihr nur wünschen, dass sie rasch stirbt. Ein Avatar von Schwarzblut ist uns entschlüpft und jagen gegangen.«
    Das klang erschreckend. »Was passiert, wenn er sein Opfer findet?«
    »Dann kehrt er zur Gottheit zurück.«
    »Hole ein Dämon das Rad!«, fluchte ich. »Wie retten wir sie?«
    Seine Antwort war ernüchternd einfach: »Gar nicht.« Und dann sagte er: »Green, ich spüre, es geht dir nicht gut. Am besten, wir gehen an einen stillen Ort und überlegen, was wir tun können.«
    »S … still, ja.« Ich brachte es fertig, mein Messer wegzustecken, ohne mich in den Schenkel zu stechen. Ich hätte mich wirklich gern an einem ruhigen, sicheren Ort ausgeruht.
    Sie war fort. Meine beste Lehrerin war fort. Eine quälende Leere saugte alles auf, was gut und richtig in mir war, während ich dem Priester folgte, der einst mein Freund gewesen sein mochte.
    Ich besaß noch immer genug Orientierungssinn in meinem Zustand, dass ich wusste, dass wir zum Tempelbezirk zurückkehrten. Göttin, beschütze mich vor Deinen Schwestern und Brüdern hier.
    Septio führte mich langsam zu einer Stelle schimmernden Moders, denn ich konnte nicht schnell gehen. Dieses Mal lösten wir beide genug von der Wand. Wir hatten den Minenstollen mit seinen verrostenden Maschinen irgendwo in der Dunkelheit zurückgelassen. Jetzt sahen wir im silbrigen Schimmer eine Vielzahl von Wandmalereien. Gesichter und Formen füllten den Stein vom Boden bis hinauf zur Decke. Die Einzelheiten ihrer Züge blieben im Schatten, verschmolzen und zerflossen, während wir vorbeigingen. Schattenzeiger für die Sonnenuhr in der Schwärze der Unterwelt.
    Sie lenkten mich ab vom berstenden Brunnen meines Kummers.
    Der Blutbrunnen war ursprünglich auf ähnliche Weise gebaut worden. Kalimpura hatte ganze Tempel auf diese Weise errichtet, Gebäude, in denen jedes Gesicht unglaublich detailgetreu dargestellt wurde.
    Ich verstand nicht, weshalb jemand eine solch gewaltige Anstrengung zur Gestaltung eines Tunnels unternehmen würde, von dessen Existenz kaum jemand wusste.
    Schließlich gelangten wir in einen hohen, kalten, von Gaslampen erhellten Raum. Obgleich auf einer Höhe mit dem Tunnel, verriet mir das Gas, dass wir uns im Unterkeller eines Gebäudes im Tempelbezirk befanden. Wie tief hinab reichte diese schlaue Architektur?
    Ich konzentrierte mich auf jedes kleine Detail, um mich von meinem Kummer abzulenken. Dieser Raum hatte acht Wände von gleicher Länge. Damit war der Boden ein regelmäßiges Achteck von etwa zwölf Fuß Durchmesser. In allen Ecken strebten kleine Vorsprünge dreißig Fuß zur Decke empor und bildeten ein stumpfes Gewölbe. Die Wände waren reifbedeckt, der Boden ebenso. Eine Sigille war unter dem Reif in den Marmor geätzt.
    Jede Wand besaß eine Tür aus blankem Stein. Wir waren durch die einzige Öffnung hereingekommen. Septio trat in die Mitte des Raumes. »Stell dich neben mich.«
    Ich folgte seiner Aufforderung. Er schloss die Augen, deshalb schloss ich auch meine. Ich spürte plötzlich die Gegenwart von etwas Großem aus Fleisch unmittelbar bei uns, das jedoch nicht den blinden suchenden Hunger der Hautkreatur besaß, welche die Tanzmistress geholt hatte. Ich ballte die Fäuste und stand aufrecht neben dem Priester, nicht bereit, noch irgendetwas kampflos aufzugeben.
    Sein Arm berührte mich. »Komm.«
    Die Türen hatten sich bewegt.

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