Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
Magie riechen können, dann hätte es hier gestunken wie ein niedergebranntes Haus, dessen war ich mir sicher. Was immer die Liliengöttin fürchtete, musste auf irgendeine Weise zu erkennen sein. Bestimmt verloren die Götter keinen der ihren aus den Augen, selbst über das weite Meer hinweg nicht. Ihr Blick reichte weiter als der des Menschen, was immer man auch über ihre Weisheit denken mochte.
Nach diesen an Blasphemie grenzenden Gedanken fiel mir auf, dass sich die Tempel wie Menschen auf einem Markt zusammendrängten. Einem Copper Downser Markt, korrigierte ich mich. Stünden sie dicht nach kalimpurischer Art, dann wären sie buchstäblich übereinander erbaut worden. Es gab wenige gemeinsame Mauern. Göttliche Kräfte bedurften offenbar der leeren Luft zwischen den Gebäuden zur Isolierung hier im kalten Norden.
Die meisten Bezirke Copper Downs’ besaßen einen eigenen Stil, der entweder die Funktion widerspiegelte, wie bei den Lagerhäusern im Hafen, oder die Form, wie bei den Münzhäusern an der Rote-Geldbörse-Straße oder sonst wo in den Finanzbezirken. Die Tempel hingegen erfreuten sich keiner einheitlichen Architektur. Jeder einzelne von ihnen verkörperte Bedürfnis und Wesen seiner Gottheit und ihrer Anbetenden.
Die Straße der Horizonte war zwar nicht mehr menschenleer, aber noch immer sehr ruhig. Kleine Gruppen von Leuten kamen den Anforderungen ihrer Religionen nach. Ein Mann mit einem Eselskarren sammelte den wenigen Müll von der Straße auf. Drei junge Männer mit kahl geschorenen Köpfen führten ein quiekendes Schwein an einer langen Leine zu einer Opferung.
Hier passierte nicht viel. Ich fragte mich, wann vor diesen Tempeln am meisten los war. Gab es eine morgendliche Huldigung? Hatten die Petraeaner einen heiligen Tag? Nach Mistress Danaes Büchern gab es jede erdenkliche Kombination von Sakramenten und Riten.
»Wie viele Leute beten hier regelmäßig?«, fragte ich.
»Die Priester klagen oft darüber«, erwiderte sie. »Es muss erst eine Generation ohne Furcht vor diesem Ort geboren werden, bevor hier wieder Menschen die Straßen füllen. Die Leute schleichen ein und aus, wenn es ihnen notwendig erscheint, aber in Copper Downs ist der Impuls zu beten noch immer eine sehr private Sache.«
»So wie für dein Volk«, sagte ich.
»Anbetung ist uns fremd«, entgegnete die Tanzmistress.
»Ich weiß. Ihr folgt einem Pfad.«
»Ja.« Sie klang ein wenig verärgert, als hätte ich ihr ein Geheimnis entlockt. »Anbetung erfordert eine Seele, die nach dem Göttlichen hungert.«
Ich bezweifelte, dass der Unterschied so klar und einfach war, aber ich ließ es dabei bewenden. Stattdessen ging ich weiter und fragte mich, wo die Götter waren. Sie ließen sich nicht blicken, was immer sie seit ihrem Erwachen auch sonst taten.
Wenn irgendjemand in Copper Downs den Staub des Herzogs an mir erkannt hatte, dann hätte es einer der Götter sein müssen. Ich konnte Magie nicht riechen. Sie vermochten es mit Sicherheit.
Aber heute offenbar nicht.
Wir fanden das andere Ende nach den elf Blocks ohne Schwierigkeit. Ich spürte kein Kitzeln und keinen Schauder. Nichts. Keine Götter, keine Geister, keine verirrten nördlichen Tulpas.
Ich war seltsamerweise enttäuscht. Was immer die Liliengöttin vernommen hatte, es war nicht hier. Natürlich wanden sich die Windungen des Herzens der Tanzmistress nicht durch dieses menschlichste Viertel Copper Downs’. Ausländer und Nichtmenschliche sah man überall in der Stadt, aber nicht im Tempelbezirk.
»Nichts«, sagte die Tanzmistress in der Art und Weise, wie sie Gespräche fortzusetzen pflegte, die wir nicht wirklich geführt hatten.
»Ich hätte mir ebenso gut die Börsen und die Getreideanbieter ansehen können.«
»Das haben wir gestern gemacht«, erwiderte sie.
Ich musste lachen. Die vergebliche Suche hier bedeutete, dass wir im Untergrund weitersuchen mussten. Die Geister meiner Opfer würden mich in der Dunkelheit da unten leichter finden als hier im Tageslicht auf den belebten Straßen.
»Bevor wir nach unten gehen«, sagte ich, »würde ich gern den toten Frauen aus dem Hof des Faktors die letzte Ehre erweisen.«
»Das ist keine Verehrung«, stellte sie fest.
»Ich weiß. Das soll es auch nicht sein. Ich habe von meinen Geistern Abschied genommen, seit mir Federo das Ritual mit den beiden Kerzen zeigte.« Oder habe es wenigstens versucht, dachte ich.
Wir machten uns auf die Suche nach einem Wachszieher. Die Götter hatten herzlich wenig zu
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