Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
mir gesprochen. Vielleicht würden meine Geister gesprächiger sein. Ich wollte meine Ruhe finden, bevor ich mich ihnen stellte. Eine halbe Stunde später knieten die Tanzmistress und ich in einem kleinen Lorbeergehölz auf einem Stück Land in der Nähe eines alten Minenschachtes im Velviere-Bezirk. Ich hatte Lucifer-Streichhölzer dabei, aber ich war doch recht froh, dass noch die Sonne schien. Der Herbst stand vor der Tür, doch dies war einer jener angenehmen Tage, die das Ende des Sommers der Steinküste bescheren konnte.
Ich stellte zwölf schwarze und zwölf weiße Kerzen auf. Die Tanzmistress hatte sich beim Kauf jeder weiteren Bemerkung enthalten. Ich konnte nicht sicher sein, wie viele Frauen und Mädchen im Haus des Faktors gestorben waren. Wahrscheinlich wusste es niemand. Irgendwie erschien mir die Zahl richtig.
Ich zündete sie der Reihe nach an. Sie brannten flackernd im leichten Wind, doch die Bäume boten genug Schutz, dass die Flammen nicht erloschen. Ich hatte nicht vor, eine Rede zu halten, doch die Worte kamen über mich.
»Wir alle beugten uns dem Willen eines Herrn, dem wir ausgeliefert waren«, sagte ich. »Ich wollte mich befreien und dachte, dies würde für uns alle die Freiheit bedeuten.« Ich bewegte meine Hände über den schwarzen und weißen Kerzen. Ihre Flammen wärmten meine Handflächen. »Es tut mir leid, was mit euch geschehen ist, mit jeder einzelnen von euch.«
Die Luft wirbelte um mich. Einen Moment lang dachte ich, die Liliengöttin wäre bei mir, aber es war nur der kräftiger werdende Wind, der die Kerzen löschte und mir bewusst machte, dass ich fertig war.
»Wann werden wir vor den Übergangsrat treten?«, fragte ich sie.
»Bald. Ich warte auf Nachricht. Wahrscheinlich schon morgen.«
»Ich würde gerne gut essen und mich ausruhen. Wir können am Nachmittag oder am Abend in den Untergrund gehen, wie du es für das Beste hältst.«
»Komm«, sagte sie. »Ich weiß, wo es geschmorten Hasen mit Mais und Paprika gibt.«
Ich folgte ihr zu einer Mahlzeit, die ich mit großem Vergnügen zu mir nahm.
In der Dämmerung kletterten wir über die hohe Mauer, die den Reichen des Velviere-Bezirks den Anblick des alten Minenschachtes und der Abfallhalden ersparte. Innerhalb des von stechendem Gestrüpp überwucherten, unübersichtlichen Platzes fanden wir den Einstiegsschacht und kletterten eine lange, knarrende Leiter hinab.
Unten angekommen liefen wir nicht wie in den alten Tagen. Wir schritten vorsichtig mit der Waffe in einer Hand und Moderlicht in der Faust verborgen. Ich verstand das – wir wollten keine Aufmerksamkeit auf uns lenken. Aber es widersprach der Vernunft. Menschen sahen am besten mit ihren Augen. Die meisten Kreaturen im Untergrund sahen mit ihren Nasen und Ohren und befremdlicheren Sinnen.
Die Tanzmistress ging scheinbar planlos voraus und murmelte mir gelegentliche Warnungen zu.
Meine Sinne erkundeten die Dunkelheit. Es war auf eine Weise geräuschvoll, wie ich es von meinen früheren Ausflügen in den Untergrund nicht in Erinnerung hatte. Kalimpura war laut unter ihrem Pflaster, doch das lag mehr am Abwassersystem und den vielen Zuflussschächten, in denen der Schall seinen Weg fand. Der Länge der Leiter nach zu urteilen, befanden wir uns gut fünfzig Fuß unter den Straßen, weit unter den Abwasserleitungen und tief in den Minenstollen.
Alte Maschinen standen hier. Es war ein völlig neuartiger Ort für mich. Rost und Korrosion und der schwache Geruch von altem Öl hingen schwer in der Luft. Meine Nase erkannte auch Stein und abgestandenes Wasser, verrottendes Holz, hin und wieder einen leichten Luftzug und Fleisch, doch nicht in der Nähe. Meine Ohren fingen Schritte und seltsames Klirren auf, doch das blieb ein ferner Spuk. Gefahr lauerte überall und nirgends.
Ich glaubte, den Faktor gesehen zu haben. War er auch in seiner Persönlichkeit als Herzog anwesend? Der tote Herrscher war mehr ein Schauspieler in zwei Rollen gewesen als ein Mann aus zwei verschiedenen Häusern. Ich war nicht einmal sicher, wer von dieser Verschmelzung wusste.
Wussten es seine Schergen? Es hatte weitere Unsterbliche unter dem magischen Bann des Herzogs gegeben. Ich stand zweien gegenüber, als ich ihn stürzte. Dazu all die Wachen und Beamten.
Wir kamen langsam voran. Das Gefühl der Gefahr wurde überwältigend. Etwas machte sich bereit, mich anzugreifen. Ich verhielt im Schritt und flüsterte: »Was ist es?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte die Tanzmistress
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