Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
mich daran, dass ich weitermusste. Als ich mich bachabwärts vorankämpfte, mischte sich das Donnergrollen eines Sturmes in das Rauschen des Wassers. Ich sah, dass Blitze um den Hügel hinter mir zuckten.
Wir hatten ihn also nicht getötet. Es wäre auch zu einfach gewesen.
Mehrere Stunden kletterte ich über Stock und Stein. Zweimal glitt ich aus und stürzte. Beim zweiten Mal schlug ich meine Kniescheibe so heftig an, dass ich fürchtete, sie wäre gebrochen. Mit einem verletzten Hintern konnte man einigermaßen umgehen, wenigstens eine Zeitlang, aber der Verlust eines Knies hätte den Tod bedeutet.
Das Gelenk hielt jedoch. Ich konnte weiterklettern. Fackeln schwärmten in der Dunkelheit hinter mir. Einige verschwanden links von mir in der Ferne. Sie folgten der Tanzmistress. Während ich sie beobachtete, stolperte ich erneut. Dieses Mal rutschte ich eine Rinne hinab und fiel in die Dunkelheit eines Abgrundes.
Die Ironie dieses Todes überwältigte mich, als mir Wasser ins Gesicht schlug. Der Stock wurde mir entrissen, als ich in die Kälte tauchte. Ich strampelte in der Tiefe und konnte nicht an die Oberfläche finden. Es gab kein Licht, nach dem ich mich richten konnte, aber das Brennen in den Lungen trieb mich weiter. Ich ruderte mit den Armen, bis mein Fuß Widerstand fand. Dort stieß ich mich mit aller Kraft ab.
Ich bekam Luft, bevor mir die Sinne schwanden. Und ich bekam meinen Stock wieder, der mir auf den Kopf knallte, um mich daran zu erinnern, wie verrückt ich gewesen war. Das Holz war dick und ziemlich leicht, und es schwamm. So ließ ich mich eine Weile in dem Becken treiben, in das der kleine Wasserfall stürzte.
Keine Ironie. Nur mehr Schmerzen.
Schließlich schob ich mich über die niedrige Barriere in die Strömung des Sassaparilleflusses. Wieder ließ ich mich an den Stock geklammert treiben. Das Wasser trug mich fort in die Nacht, nur gelegentlich musste ich über Steine oder Sand oder Stämme klettern.
Irgendwie schaffte ich es, mich nicht wieder am Kopf oder den Knien zu verletzen.
Noch ungewöhnlicher war, dass ich zeitweilig zu schlafen schien. Ich konnte noch immer den aufgehenden Mond sehen. Lilien trieben neben mir auf dem Wasser. Jede öffnete sich und zeigte mir ein Gesicht und schloss sich dann wieder. Einige waren Mütter des Lilientempels, andere Mistresses aus dem Haus des Faktors. Einige kannte ich nicht.
Dann geriet ich in eine wirbelnde Strömung. Unversehrt gelangte ich in einen viel größeren Teich, in dem ich eine Weile trieb, bis ich gegen die Hülle eines Bootes schlug.
Ein kleines Mädchen sah ins Wasser und schnalzte mit der Zunge. »Mama«, sagte es, »da ist eine Frau im Wasser.«
Ich hörte, wie ihm eine undeutliche Stimme antwortete.
»Nein, ich glaube, sie ist tot.«
Ich öffnete den Mund, um dem Kind zu sagen, dass ich nicht tot war. Noch nicht. Das dumme Ding schrie, als sie sah, dass sich meine Lippen bewegten, und verschwand von der Bordwand.
Die Mutter erschien einen Augenblick später mit einem Bootshaken.
»Ich bin nicht tot«, sagte ich oder versuchte es wenigstens mit erschöpftem Keuchen.
»Corinthia Anastasia«, rief sie, »du bist eine kleine Idiotin!«
Ich sank in eine schwärzere Tiefe als Schlaf, als sie mich an Bord zogen.
Ich erwachte mit dem Gefühl, dass viel Zeit vergangen war. Wie viel, konnte ich nicht sagen.
Corinthia Anastasia saß auf einem kleinen Stuhl, aß Fisch aus einem Essnapf und ließ die Füße pendeln. Der Geruch drehte mir den Magen um. Ich beobachtete das Mädchen einen Augenblick. Helles Lockenhaar, blasse Augen, blasse Haut. Ein normales Kind, das bei seiner Familie lebte.
Ich hätte gern gewusst, wie das war.
Ich befand mich im Hauptraum einer Hütte, eine ansehnliche Feuerstelle, zwei Wandbetten dahinter. Ich sah ein paar Töpfe an den Deckenbalken und darüber einen Dachboden. Alles sauber, aber ärmlich.
Das Mädchen bemerkte, dass ich den Kopf drehte. »Bist du diesmal wach?«
»Ja.« Ich versuchte, mir über die Frage klar zu werden. »War ich schon mal wach?«
»Nein.« Sie kaute langsam. »Du hast viel im Schlaf geredet. Ausländisch meistens.«
»Ich hoffe, ich habe dich nicht gestört.«
»Nein«, erwiderte die Kleine. »Mir macht das nichts aus. Manche sagen vielleicht, dass du eine Hexe bist, aber Mama ist viel zu klug für so was.«
»Gut.« Ich versuchte, den Fisch zu ignorieren. Mein Magen war eine geballte Faust. Es schien mir unvorstellbar, auch nur einen Schluck Saft
Weitere Kostenlose Bücher