Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
ihrer Hand und drückte sie an mich. »Ich muss nach Copper Downs zurück. Ich kenne Choybalsans Geheimnis, zum Teil wenigstens.« Und er kennt ein Geheimnis von mir, das ich nicht kenne. In wessen Herzen hatte die Liliengöttin wirklich die Gefahr gesehen?
Alles ergab Sinn, wenn man die Zusammenhänge sah. Federo hatte von der Magie des Herzogs Besitz ergriffen oder umgekehrt, was wahrscheinlicher war. Vielleicht reichte die ursprüngliche Verschwörung tiefer, als ich je erfahren hatte. Wie auch immer, etwas fehlte ihm. Ich war ein Teil davon, der Schlüssel für ein Schloss, das er noch nicht gefunden hatte und das er bei den Genetten suchte, denen die Magie überhaupt erst entrissen worden war. Was auch der Grund dafür war, dass Choybalsan sie in so großer Zahl tötete.
In der Hoffnung, dass sie das fehlende Stück besäßen.
Ich kannte sein Geheimnis. Oder genauer gesagt, ich wusste, dass er bekämpft werden konnte. Wenn schon nicht getötet, dann doch bezwungen. Wenigstens hoffte ich das. Die Grenzen in dem fremdartigen Bereich zwischen Menschen und Göttern waren mir unklar.
»Ich kann dir natürlich jetzt gleich die Straße zeigen, wenn du möchtest«, sagte sie. »Du kannst aber nicht gehen. Es wimmelt dort auf ganzer Länge bereits von Spähern und Kämpfern. Selbst die Stadt hat ein paar Reiter ausgeschickt.«
»Unter wessen Befehl?« Ein halbes Dutzend größere Wacheinheiten waren innerhalb der Stadt unterwegs, aber Copper Downs verfügte seit Jahrhunderten über keine eigene Armee mehr. Es gab so gut wie keinen Widerstand.
Zumindest bis jetzt.
»Sie stellen die Regimenter wieder auf. Die alten Fahnen aus alter Zeit hängen wieder in den leeren Hallen.«
»Eine Armee von Krämerjungen und Händlern wird niemanden außer sich selbst das Fürchten lehren«, stellte ich fest. Das war das eigentliche Problem. Wie die Stadt verteidigen?
Ist es mein Problem?
»Schone deinen Körper ein paar Tage.« Sie drückte meine Hände. »Warte zumindest, bis du anständig essen kannst. Selbst mit verheilten Wunden fehlt dir sonst die Kraft.«
»Könnte ich Suppe haben?«, fragte ich schüchtern. »Ohne Fisch, wenn das geht?«
»Ja, die mache ich dir.«
Sie erhob sich vom Bett und stellte einen Eisenkessel ans Feuer. Ich entspannte mich bei den vertrauten Küchengeräuschen und versuchte zu überlegen, was ich nun tun sollte.
Natürlich nach Selistan heimkehren. Aber ich hatte nicht getan, was mir die Liliengöttin auftrug. Choybalsan war noch immer frei. Welche Gefahr sie auch sehen mochte, musste von ihm drohen. Mit Sicherheit gab es ein Band zwischen ihm und den Herzenswindungen der Tanzmistress. Er hatte im Grunde eine alte Liebe für sie eingestanden. Davon abgesehen hatte sein Amoklauf unter ihrem Volk nur Furcht in ihr Herz getragen.
Ich wusste von keinen wichtigen Theogonien in der jüngeren Geschichte. Götter und Göttinnen waren ein konservativer Haufen, eifersüchtig untereinander auf ihre Anhängerscharen, immer auf Gebete und Opfergaben aus. Sie waren alles andere als erpicht auf neue Konkurrenz.
Einige zogen umher, kamen mit Wogen von Einwanderern oder Reisenden. Einige wurden von Zeit zu Zeit geboren. Einige starben sogar, wenn sie vergessen oder verschmäht oder gemordet wurden. Kriege unter den Göttern waren der Stoff von Legenden aus der tiefsten Dunkelheit der Zeit. In vielen Geschichten sind solche internen Kämpfe der Grund für den Untergang der Titanen.
Fürchtete die Göttin den Aufstieg eines neuen Gottes hier, oder fürchtete sie einen, der mit dem Schwert in der Faust zu ihr kommen würde?
Federo war ein viel gereister Mann gewesen. Choybalsan kannte den Weg nach Kalimpura. Und er hatte gewusst, dass ich mit dem fehlenden Teil seiner Macht irgendwo dort war. Ich stand zwischen ihm und seiner Vollkommenheit.
Die Göttin hatte mich nach Copper Downs gesandt, um ihn von Kalimpura fernzuhalten.
Ich konnte nur nach Hause zurückkehren, wenn ich diese Bedrohung beseitigte, die Gottesgeburt Choybalsans verhinderte oder ihn vernichtete. Nur dass ich durch das Töten eines Gottes nicht hoffen konnte, vor meiner eigenen Göttin je wieder Gnade zu finden.
Die Grübelei stürzte mich in Kopfschmerzen. Die Frau brachte mir eine einfache Maissuppe, in der ein wenig Kresse schwamm.
»Koste das. Wenn du etwas Handfesteres haben möchtest, kann ich dir Brot bringen.«
»N … nein, danke.« Ich nahm einen Schluck. Der Geruch war himmlisch, aber der Geschmack war gewöhnungsbedürftig.
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