Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
hätten Papa und ich zu Hause zur Verfügung gehabt? Ein bisschen Salz und getrocknete Chilischoten von Büschen, die am Waldrand wuchsen. Salz hatten wir hier auch, dazu Petersilie und andere Küchenkräuter.
Wir hatten auch eine Schublade voller Messer.
Zu vielem, das mir am Anfang vorenthalten worden war, bekam ich mit zunehmendem Vertrauen Zugang. Es war jenes seltsame Vertrauen zwischen Herrn und Sklaven, zwischen Kerkermeister und Gefangenem, aber diese Art von Vertrauen hatte auch zwischen mir und Mistress Tirelle bestanden.
Ich fand das kleine, scharfe Fleischmesser, das zum Entbeinen verwendet wurde. Die Klinge war bereits sehr scharf. Ich brauchte also kein Risiko mit dem Geräusch des Schärfens einzugehen. Stattdessen ging ich hinaus und setzte mich unter den Granatapfelbaum und starrte auf die Klinge in meiner Hand.
Der Faktor hatte mich Smaragd genannt. Symbol für natürliche Schönheit und geschliffene Anmut. Sicherlich war dieses Gefängnis aus Blausteinmauern sehr viel angenehmer als die Hütte meiner frühesten Kindheit. »Ich vermisse meine Glöckchenseide und den weißen Ochsen meines Vater«, flüsterte ich dem Messer zu. Es gab so vieles, nach dem ich mich sehnte – die Wasserschlangen und den heißen Wind und die dummen Eidechsen, die sich mit ihren Vorderbeinen immer der Sonne entgegenreckten, als könnten sie dem großen Himmelsfeuer damit wirklich näher kommen.
Sosehr ich mich auch danach sehnte – was ich in diesen Jahren im Haus des Faktors gelernt hatte, war ebenso wenig umzukehren wie die Zeit selbst. Federo hatte mich meiner Welt entrissen und der Faktor ein Geschöpf des Herzogs von Copper Downs aus mir gemacht.
Ich war weder Ochse noch Kutsche noch Zugpferd. Ich war weder Tier noch Ding. Ich konnte meinem Gefängnis leicht genug entkommen, das hatte mir die Tanzmistress gezeigt. Doch ich war wertvoll. Meine Anmut und Schönheit und Erziehung waren das Werk Dutzender Frauen aus der Gefolgschaft des Faktors. Sie würden mich jagen und finden. Zweifellos konnten seine Wachen mit verbundenen Augen überallhin reiten, wo ich mich auch verstecken mochte. Zweifellos würde der Herzog nach seiner neuen Gespielin fragen und ganz Copper Downs würde ihm antworten müssen.
Ich war einfach von zu großem Wert für den Faktor, um mich durch die Finger schlüpfen zu lassen. Ich konnte mich meiner Erziehung und des erworbenen Wissens nicht entledigen. Mit diesem Messer konnte ich aber meiner Schönheit ein Ende bereiten.
Ich werde ihnen zeigen, wer zuletzt aufgibt.
Ausdauers braune Augen glänzten in der Dunkelheit, als ich das Messer hob und in meine rechte Wange schnitt. Der Schmerz war scharf und schrecklich, aber ich hatte mein ganzes Leben Prügel ertragen, ohne aufzuschreien. Dann meine linke Wange, und die neue Pein war schon ein vertrautes Gefühl. Dann griff ich nach hinten und machte je einen tiefen Schnitt in meine Ohrmuscheln.
»Ich bin Green«, schrie ich in meiner Muttersprache dem Mond entgegen. Blut lief warm meinen Hals hinab auf meine Schultern. »Green!«, schrie ich erneut und begann zu schluchzen.
Mistress Tirelle kam aufgescheucht durch mein Geschrei herbeigerannt und sah mein blutüberströmtes weißes Baumwollnachthemd.
Als ihr klar wurde, was ich getan hatte, stieß sie einen spitzen Schrei aus. Ich brach ihr das Genick mit einem Tritt, den mir die Tanzmistress beigebracht hatte. Es war ein Tritt aus einer fließenden Drehung heraus, der das Kinn der Entenfrau nach rechts riss, begleitet von einem Knacken, das ich in meinen Knochen spürte. Sie röchelte kurz und fiel zu Boden.
Das war das erste Mal, dass ich tötete. Aus Wut und Schmerz und Verwirrtheit.
In mancher Hinsicht ist Mistress Tirelles Tod der eine, an den ich mich am besten erinnere. Ihre stete Gegenwart kam in allem, was ich tagtäglich seit meinem erzwungenen Abschied von Papa erfahren hatte, so etwas wie Liebe am nächsten. Sie hatte mich zum Mittelpunkt ihres Lebens gemacht. Ich vergalt es ihr mit Mord. Und ohne eine Spur von Würde dazu, obgleich der Tod selten würdevoll ist. Die Sterbenden lassen ihr Fleisch zurück. Ich glaube manchmal, die Götter lassen uns auf diese schmutzige Weise sterben, damit wir nicht vergessen, dass wir aus Staub und Wasser geschaffen sind.
Ich redete mir ein, dass ich Mistress Tirelle, obgleich ich sie hasste, nicht wirklich töten wollte. Aber das stimmte natürlich nicht. Meine Tanzmistress hatte mir den Tritt beigebracht, und ich hatte ihn angewendet. Ich
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