Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
schüttelte mich leicht. »Halte dich von den dunklen Schatten in deinem Kopf fern, Mädchen.«
Das ernüchterte mich sofort. »Mein Name ist Green«, schnappte ich hitzig und zornig.
»Green also. Ich sehe, du bist wieder bei uns.«
Unsere Flucht endete an einer Holzleiter, die an einer Ziegelmauer befestigt war. Die Tanzmistress eilte voran. Ich folgte ihr, eher vor Wut kochend als vor Furcht gelähmt.
Wie können sie es wagen, mir alles wegzunehmen? Ich wusste, dass ich völlig unlogisch dachte, aber ich brauchte diesen glühenden Funken. Schuld und Furcht lagen nicht weit dahinter. Ich würde meinen Weg lieber im Feuer der Wut als in dunklem Elend gehen.
Wir gelangten in ein großes halb leeres Gebäude. Ein wenig Mondlicht drang durch die hoch oben befindlichen Fenster und fiel silbrig bleich auf Stapel von Kisten. Ich blickte mich um und nahm die Dinge wahr, wie man es mir beigebracht hatte. Es gab acht Fenster auf jeder Seite. Einige konnte man erreichen, wenn man die Kistenstapel davor emporstieg. Ein Ende lag in tiefer Dunkelheit, in der ein Dutzend Reiter unbemerkt hätten lauern können. Das andere Ende schimmerte im Schein der Gaslampen, der durch die Spalten einer großen Tür hereindrang.
Ein Lagerhaus natürlich.
»Was befindet sich am dunklen Ende?«, fragte ich, beflügelt von der Bemerkung der Tanzmistress über die bevorstehende Jagd.
»Was sagen dir deine Nase und deine Ohren?«
Ich schloss die Augen und schnupperte. Staub, Holz, Öl, Moder. Der Geruch von uns beiden. Keine Pferde. Keine schwitzenden Soldaten. Desgleichen die Geräusche. Ein Wagen rumpelte draußen vorbei, begleitet vom Klappern der Hufe auf dem Pflaster. Innerhalb gab es nur die Geräusche eines alten Gebäudes, das Knacken von Holz und das Scharren und Piepsen von Ratten.
Eine einzelne Person, die sich völlig lautlos verhielt, war alles, was sich in der Dunkelheit befinden mochte. Das sagte ich ihr.
»Es könnte überall irgendwer lauern«, stimmte sie zu. »Hier sind wir in diesem Augenblick wahrscheinlich sicher. Jetzt begeben wir uns in ein noch besseres Versteck.«
Die Tanzmistress begann, einen Stapel Kisten zu einem der schmutzverschmierten Fenster hinaufzuklettern. Ich folgte ihr. Ich wunderte mich, wohin sie wollte, fragte aber nicht. Sie erreichte das Fenster und streckte sich hoch, um die Decke darüber zu erreichen. Ein Teil der Bretter wurde mit lautem Scharren von Holz auf Holz zur Seite geschoben. Ich zuckte bei dem Lärm zusammen und hielt nach unten Ausschau nach einem möglichen Meuchelmörder.
Doch da war niemand. Über mir schwang sich die Tanzmistress durch die Decke. Ich folgte ihr und gelangte in einen viel dunkleren Raum mit einer weiteren Decke, die so niedrig war, dass ich mir den Kopf anstieß. Das Dach der Lagerhalle. Wir befanden uns auf einem sehr niedrigen, flachen Dachboden. Die Schatten verrieten, dass der Raum zur Lagerung benutzt wurde. Gegenstände ragten dunkel aus noch tieferer Dunkelheit. Ein einziges Fenster schimmerte am fernen Ende blind vor Schmutz und kaum erkennbar in der Finsternis.
»Die Treppen sind vor fünfzehn oder zwanzig Jahren herausgerissen worden«, erklärte die Tanzmistress. »Sie haben die Tore für den zunehmenden Wagenverkehr verbreitert und mussten diesen Raum dabei aufgeben.«
»Eine Vergeudung.« Ich konzentrierte mich auf die belanglose Geschichte unseres Aufenthaltsortes.
»Nichts geschieht ohne Grund. Im Augenblick befinden wir uns in einem verborgenen Ort über einem Gebäude, bei dessen Betreten uns niemand beobachtet hat. Wir sind sicher, während wir uns überlegen, was als Nächstes geschehen muss.«
»Sicher?« Das panische Lachen brach wieder aus mir hervor. »Ich werde niemals mehr sicher sein. Ich werde immer die Folgen meiner Tat zu spüren bekommen. Ich …«
Sie gab mir einen Klaps auf den Kopf, als meine Stimme lauter wurde. »Flüstere. Oder besser noch: Denk erst nach, bevor du redest.«
Augenblicklich kam die Wut zurück. Mistress Tirelle hatte mich ständig geschlagen. Jetzt tat es auch die Tanzmistress. Was berechtigte sie, die Hand gegen mich zu erheben?
»Du musst essen und dann schlafen«, fuhr sie fort. »Ängste und Schuldgefühle beherrschen dich jetzt.«
»Ich fürchte mich vor gar nichts!«, rief ich.
Ihre Stimme war so leise, dass ich genau hinhören musste. »Im Augenblick hast du Angst vor allem und jedem. Zumindest solltest du sie haben.«
Ich klappte zusammen. Die Anspannung fiel von mir ab und mir wurde
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